Dritte Cluster Innovativ-Veranstaltung zum Thema „innovative Sonderbauten“ auf der Landesgartenschau Wangen 2024.
Wangen/Ostfildern, 10. September 2024. proHolzBW führt im Auftrag der Holzbau-Offensive Baden-Württemberg und in Zusammenarbeit mit der Landesgartenschau Wangen GmbH in 2024 mehrere Fachtagungen zu innovativen Holzbauobjekten durch. Am 03. September fand dazu mit 30 Teilnehmer*innen das dritte Cluster Innovativ zum Thema „innovative Sonderbauten“ statt.
Eröffnet wurde die Veranstaltung von Edith Heppeler, von der Geschäftsführung der Landesgartenschau GmbH Wangen. Frau Heppeler hob hervor, dass die Stadt Wangen – vorneweg Oberbürgermeister Michael Lang – von Beginn an das Thema Nachhaltigkeit und das Bauen mit Holz bei allen Bauobjekten der Landesgartenschau als Maßstab setzte. Die kommunalen Gremien trugen diesen Masterplan mit und somit konnten eine Vielzahl von Wohn- und Sonderbauten in Holzbauweise in Verbindung mit der Landesgartenschau realisiert werden. Die Besucher der Landesgartenschau 2024 und die Bürger der Stadt Wangen sollten sich neben der ökologischen Landschaftsgestaltung auch auf eine nachhaltige Quartiersentwicklung freuen, so der langfristige Plan der Stadt Wangen.
Nun folgte die Vorstellung der Sonderbauten der Landesgartenschau Wangen durch die Projektentwickler des „Wangen Turm“ und des „Hybrid-Flachs Pavillon“ vom Institute for Computational Design and Construction (ICD) der Universität Stuttgart.
Der Wangen-Turm: Ein architektonisches Wahrzeichen und wegweisender Holzbau.
David Stieler, ICD Universität Stuttgart gab tiefe Einblicke in die Planung und Fertigungsprozesse des „Wangen Turm“. Basierend auf der Forschung des Exzellenzclusters „Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur (IntCDC)“ der Universität Stuttgart ist der Turm die erste in voller Höhe begehbare Struktur, die tragende selbstformende Holzbauteile verwendet. Die charakteristische Form dieses einzigartigen Holzbauwerks ist Ausdruck einer neuen, aus natürlich nachwachsenden, lokal verfügbaren und regional verarbeiteten Materialien bestehenden Architektur.
Die 23 Meter hohe, neuartige Konstruktion des Turms besteht aus 12 tragenden, gebogenen Brettsperrholzsegmenten (BSP) mit einem Querschnitt von nur 130 Millimetern. Die globale Geometrie des Turms, kombiniert mit den lokalen Krümmungen der BSP-Elemente, führt zu einem neuartigen flächenaktiven Holztragwerk, das die entscheidenden horizontalen Windlasten trägt und dem Turm seine markante, gewundene Silhouette verleiht. Die Krümmung gibt den Bauteilen dabei zusätzliche Steifigkeit, ähnlich wie bei Wellblechen. Die Treppenspindel trägt die vertikalen Verkehrslasten auf den Stufen und unterstreicht durch die Verjüngung am Fußpunkt elegant die Lastverteilung zwischen der zentralen Spindel und der Hülle aus Holz. Computerbasierte Planungsmethoden, die das Materialverhalten und die Herstellungsbedingungen von Anfang an integrieren, sind das Kernstück des zukunftsweisenden Entwurfs und der hochpräzisen Umsetzung dieses Forschungsdemonstrators. Millimetergenaue Vorfertigung und präzisionsgefräste Verbindungsdetails ermöglichten die Montage vor Ort in nur drei Tagen und die nahtlose Integration der Stahltreppe, des Glasoberlichts und der Aussichtsplattform des Turms. Die leistungsfähige und ressourceneffiziente Holzkonstruktion erzeugt durch ihre markante Silhouette einen unverkennbaren architektonischen Ausdruck.
Planung und Produktion von selbstgeformten Holzbauteilen.
Der Wangen Turm ist der weltweit erste begehbare Aussichtsturm, der gekrümmte großformatige Bauteile verwendet, die sich durch das Schwinden des Holzes selbsttätig formen. Für gewöhnlich werden das feuchtigkeitsbedingte Schwinden und Verformen als Nachteile des Baustoffes Holz betrachtet. Inspiriert von biologischen Vorbildern wie dem Fichtenzapfen, der auf wechselnde Umgebungsfeuchte mit der Formänderung seiner Schuppen reagiert, können ähnliche Prinzipien jedoch zur gezielten Formgebung von gebogenen Holzbauteilen eingesetzt werden. Für die Herstellung der selbstgeformten BSP-Bauteile wurde einheimisches Fichtenholz verwendet. Die selbstformenden doppelschichtigen Platten wurden als flache Paneele aus jeweils einer 30 Millimeter starken “aktiven” Schicht und einer kreuzweise verleimten 10 Millimeter dünnen “restriktiven” Schicht hergestellt. Im Gegensatz zur typischen industriellen Holzverarbeitung wurden die Bretter nur leicht luftgetrocknet verwendet. Computerbasierte Entwurfs- und Simulationsmethoden, die das Materialverhalten von Beginn an berücksichtigen, sowie eine hochpräzise digitale Vorfertigung bilden die Grundlagen, um gekrümmte BSP-Platten für eine ressourceneffiziente, formaktive Holzstruktur zu nutzen. Der Wangen Turm verkörpert in seiner charakteristischen Form und innovativen Bauweise einen zeitgemäßen architektonischen und konstruktiven Ausdruck des traditionellen Baumaterials Holz. Mit einer integrativen Herangehensweise an der Schnittstelle von Forschung, Handwerk und computerbasierter Planung und Vorfertigung, präsentiert sich der Wangen Turm als Vorreiter für effizientes, ökologisches und zugleich regionales Bauen.
Hybrid-Flachs Pavillon: Ressourcenschonendes Tragsystem aus regionalen, biobasierten Bauwerkstoffen.
Christoph Zechmeister, ICD Universität Stuttgart führte die Teilnehmer ein in absolut neue Fertigungsprozesse, die bei der Entwicklung und dem Bau des „Hybrid-FlachsPavillon“ zur Anwendung kamen. Der Pavillon zeigt erstmals eine Holz-Naturfaser-Hybridkonstruktion als Alternative zu konventionellen Bauweisen, die am Exzellenzcluster „Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur (IntCDC) erforscht wird. Die in dieser Form einzigartige Konstruktion kombiniert schlanke Brettsperrhölzer mit robotisch gewickelten Flachsfaserkörpern in einem neuartigen, ressourcenschonenden Tragsystem aus regionalen, biobasierten Bauwerkstoffen mit einem besonderen örtlichen Bezug. So wurde Flachs vormals in der örtlichen Textilindustrie verarbeitet, deren altes Spinnereigelände im Zuge der Landesgartenschau saniert wurde. Die wellenartige Dachkonstruktion bietet, gemeinsam mit dem kreisförmigen Grundriss und dem zentral angeordneten Klimagarten, einen tiefen, fließend in die Landschaft übergehenden Raum. Die durch Erdwärme aktivierbare Bodenplatte aus Recyclingbeton ermöglicht eine ganzjährig komfortable Nutzung des dauerhaft angelegten Gebäudes.
Das Dach des Pavillons stellt die weltweit erste Hybridkonstruktion aus Brettsperrholzplatten und Naturfaserkörpern dar, die durch kernloses Wickeln von Flachsfasern hergestellt wurde. Die 20 Hybridbauteile wechseln sich mit herkömmlichen Holzelementen ab und bilden die charakteristische wellenförmige Struktur des Daches, das die 380 m² große Ausstellungsfläche überspannt. Ziel dieses neuartigen hybriden Bausystems ist es, einen weitläufigen stützenfreien Raum zu schaffen und gleichzeitig den Materialeinsatz zu minimieren, indem die Synergie zwischen Holz und Naturfaserverbundstoffen genutzt wird. Die Vor-Ort-Montage aller 44 Deckenelemente wurde dank praxisnaher, interdisziplinärer Planung und der hochpräzisen Vorfertigung in 8 Tagen abgeschlossen.
Innovatives Hybrid-Bausystem aus Naturfasern.
Das Faser-Holz-Hybridsystem nutzt die spezifischen Eigenschaften von Holz und natürlichen Fasern und ermöglicht besonders leichte, effiziente Bauteile mit hervorragender Leistungsfähigkeit. Der Einsatz von Flachsfaserkomponenten zur Verstärkung der schlanken Holzplatten erlaubt es, die Vorteile schnell nachwachsender Ressourcen für die Bauindustrie zu nutzen und zeigt auf, wie der signifikante Bedarf an Bauholz effektiver aus lokal verfügbaren Beständen gedeckt werden kann. Das Bausystem wurde als zirkuläre Bauweise entwickelt, indem es eine zukünftige Materialwiederverwendung und -Verwertung durch die sortenreine Zerlegung der Hybridkomponenten in ihre Einzelteile ermöglicht.
Nach der Theorie folgte die Besichtigungstour zu den vorgestellten Projekten. Die beiden Wissenschaftler vom ICD gaben detaillierte Auskunft am jeweiligen Objekt. Dieser Mix aus Theorie und Praxis fand großen Anklang bei den Teilnehmern. Beim abschließenden Get-Together in Pförtnerhaus konnten die aktuell gewonnenen Eindrücken ausgetauscht werden. Die Stadt Wangen hat sich mit den Holzbauobjekten der Landesagartenschau 2024 und weiteren parallel dazu entstandenen Holzbauobjekten zu einem Hotspot in Sachen moderner, innovativer Holzbauarchitektur entwickelt.
SAVE THE DATE
Eine weitere Cluster Innovativ Veranstaltung auf der Landesgartenschau in Wangen findet am Freitag den 27. September 2024 zum Thema „Forstwirtschaft 4.0 und moderne Holzverarbeitung “ statt. Kurzer Exkurs über den Kommunalwald in Wangen durch Revierförster Feierle, Moderne digitale Bestandserfassung und Ernteplanung mittels Drohnenbefliegung und digitaler Aufbereitung von wood-in-vision plus Besichtigung des modernen Holzwerk Bauman vor Ort bieten Einblick in die Rohstoffbeschaffung und Aufbereitung zum nachwachsenden und klimafreundlichen Holzwerkstoff.
Hier können Sie sich anmelden.
Bericht: proHolzBW und ICD Universität Stuttgart
Wir verwenden Cookies auf unserer Webseite. Nachfolgend können Sie wählen, ob und ggf. welche nicht-essenziellen Cookies Sie akzeptieren möchten und erhalten hierzu weitere Informationen.