11.02.2022
CO2-Senke, nachwachsender Rohstoff und Baukomponente fürs Auto: Gibt es etwas, das Holz nicht kann?
Veranstaltung „Holz trifft Mobilität“ von DLR und proHolzBW bringt zum zweiten Mal hochkarätige Experten aus Branche und Forschung an einen Tisch.
Ostfildern, 11. Februar 2022. Dass Holz viel mehr kann, als nur für ein edel glänzendes Armaturenbrett zu dienen, erfuhren die Teilnehmer schon bei der ersten gemeinsamen Veranstaltung von proHolzBW und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt im Juni 2021. Der Folgetermin am 09. Dezember 2021 eröffnete abermals den fachlichen Dialog zwischen Referenten aus den Bereichen Forstwirtschaft, Holzverarbeitung und Fahrzeugbau mit beeindruckenden Vorträgen zu den Chancen und Herausforderungen des Einsatzes von Holz in Fahrzeugstrukturen. Prof. Tjark Siefkes, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. und Dr. Dennis Röver, proHolzBW hielten die Begrüßungsworte. Dr. Röver:„Holz kann sehr gut tragen – und diese Eigenschaften machen wir uns im Bauingenieurwesen zu eigen.“ Getrocknetes Holz enthält bis zu 95 % Luft, ein hervorragender Leichtbaustoff, den uns die Natur quasi frei-Haus zur Verfügung stellt. Aufgrund dieser besonderen Eigenschaften ist Holz nicht nur für den Holzbau, sondern auch für den konstruktiven Fahrzeugbau bestens geeignet. Prof. Siefkes betonte die Umweltfreundlichkeit von Holz als „Produkt“: Die Umsetzung der Umweltprodukt-Deklaration ISO 1400025 würde helfen, Anwendungsgebiete von Holz auch im Automobilbau zu vergrößern.
Fichte und Buche mit Waldorfpädagogik erklärt
Welche Baumarten stehen in unseren Wäldern, wie klimaresistent sind sie, und welche Holzarten braucht eigentlich der Markt? Der gelernte Zimmermann und Forstwirt Raimund Friderichs leitet den 14.800 ha großen Waldbesitz der Fürstenfamilie Hohenzollern. Die Wälder bestehen dort zu 49 % aus Fichten. 38 % der Bäume im Hohenzollernforst sind Laubbäume. Über 90 % des in Deutschland erzeugten Schnittholzes für hochwertige Anwendungen besteht aus Nadelholz. Der Großteil des geernteten Laubholzes geht nach wie vor in die energetische Verwertung. Nadelhölzer gelten im Vergleich zu Laubhölzern als weniger klimaresistent. Aber welche Eigenschaften entscheiden über die Nutzung? Mit einfachen Skizzen erklärte Friderichs, gelernter Walddorfpädagoge, anschaulich die Struktur von Laub- und Nadelbäumen – eine Fichte zum Beispiel hat einen geraden Stamm und gerade Äste. Eine Buche dagegen kann einen oder mehrere, krumme oder gerade, verzweigte Stämme aufweisen, und sie hat viele verzweigte Äste. Laubholz ist also ein komplexes, herausforderndes Material, das sich sowohl im Sägewerk, als auch in der Zimmerei nicht genauso „einfach“ bearbeiten lässt wie Nadelholz. Friderichs sieht erfolgversprechende Einsatzfelder von Buchenholz in der holzbasierten Bioökonomie und bei Plattformchemikalien aus Buche, als Furnierschichtholz oder als Basis für neue Holzwerkstoffe. In der Automobilindustrie zum Beispiel als Holzfaser-Kunststoff-Compound für komplexe Geometrien. Moderne Forstwirtschaft bedeutet daher, vorzusorgen und den Spagat zu meistern zwischen einem gesunden, widerstandsfähigen Wald, und einem Baumbestand, der die Nachfrage seitens der Abnehmer deckt – ob Holzbau oder Automobilindustrie.
Aufforstung ist der effektivste Klimaschutz
Über welche Möglichkeiten verfügen wir, um nicht nur CO2-Emissionen zu reduzieren, sondern diese der Atmosphäre zu entziehen? Im weltweiten Kohlenstoffmarkt sind nur 4 % der bestehenden Kohlenstoffprojekte Reduktionsmaßnahmen. 96 % sind reine Ausgleichsgeschäfte, bei denen Unternehmen ihren CO2-Ausstoß tauschen bzw. verkaufen können („CO2-Zertifikat-Handel“). „Aufforstung wäre der effektivste Klimaschutz!“, so Johannes Schwegler von der Fairventures Worldwide FVW gGmbH aus Stuttgart. Das Unternehmen versucht mit dem nachhaltigen Anbau von Leichthölzern in Borneo sowohl Kleinbauern vor Ort eine nachhaltige Lebensgrundlage zu schaffen, und gleichzeitig konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. In den Aufforstungsprojekten werden schnell wachsende heimische Baumarten von Kleinbauern in Ergänzung zur lokalen Landwirtschaft angepflanzt. Weltweit schreiten Aufforstungsprogramme aber nur schleppend voran, da für die Kleinbauern am Anfang der Wertschöpfungskette keine echten Incentives für die Aufforstung existieren. Und Unternehmen, die klimaneutral produzieren möchten, besitzen oft kein Vertrauen in den Karbonmarkt. Es gibt also wenig Berührungspunkte zwischen der Aufforstung und den oft mit hohem Energieverbrauch einhergehenden Produktherstellungsprozessen. Weltweit stehen bis zu 900 Millionen Hektar Land zur Wiederaufforstung zur Verfügung. Würden diese wieder aufgeforstet, könnten pro Jahr 10 Gigatonnen CO2 eingelagert werden, knapp ein Viertel der weltweiten Emissionen. Um das nachhaltige Potential zu nutzen, müssen Lieferketten zukünftig deutlich besser verknüpft werden und Kooperationen auf- und ausgebaut werden. Dann kann der Wald sein erhebliches Potential als CO2-Senke entfalten und Menschen weltweit durch die Aufforstung eine neue Lebensgrundlage bieten.
Straße als Wohlfühlraum
Eine wichtige Rolle bei der nachhaltigen Stadtentwicklung spielt das Management von Regenwasser. Wir alle kennen die Bilder: Von Starkregen überflutete Straßen und Innenstädte. Prof. Dr. Jochen Eckart von der Hochschule Karlsruhe stellte das Projekt „BlueGreenStreets (BGS)“ vor, das erforscht, wie Straßenräume durch grüne Korridore an die heutigen Bedingungen des Klimawandels angepasst werden können. Dafür wurden begrünte Elemente konzipiert, die Regenwasser von Straßenräumen für die Bewässerung von Bepflanzung und zur Verdunstung rückhalten und gegebenenfalls zu viel Restwasser ableiten. Eine wichtige Rolle spielen dabei Bestandsbäume, die Bodenbedingungen und die Flächenverfügbarkeit. Grüne Korridore müssen mindestens 2,30 m breit sein – was bedeutet das für den Verkehr? Welche Restflächen können genutzt oder umgenutzt werden? Wie ist der Parkraumbedarf? Die Verkehrsfläche ist abhängig von der Verkehrsmenge: Bei einem Aufkommen von 2.500 Kfz pro Stunde benötigt eine Straße vier Fahrspuren und ist inklusive Radweg im Durchschnitt 30 Meter breit. Bei 500 Kfz pro Stunde reicht eine zweispurige Fahrbahn mit ca. 10 Metern Breite. Wie gelingt die Umsetzung solcher Projekte im Angesicht von immer knapper werdender Fläche in den Städten? Neben einer klaren, gesamtstädtisch formulierten Zielsetzung für die Klimaanpassung im Straßenraum ist der frühzeitige, interdisziplinäre Dialog zwischen allen Beteiligten (Verkehrsplanung – Wassermanagement – Bepflanzung) entscheidend.
Das Zusammenspiel von Holzverdichtung und Klebtechnik
Dr. Moira Burnett von der Universität Kassel untersucht das Einsatzpotenzial von Klebtechnik zum Fügen von modifizierten Holzverbunden in den Bereichen Automotive, Schienenfahrzeugbau und Baugewerbe. Getestet wurden unter anderem naturfaserverstärkte Klebstoffe für den Einsatz im Automobilbereich, rechteckige Hohlprofile aus biobasierten Verbundsystemen als Substitution von Metallprofilen oder die Herstellung eines proteinbasierten Klebstoffsystems aus der Restbiomasse von Raps für die Herstellung von Holzwerkstoffen. Holz ist auch hier die Antwort auf die Frage, wie mehr Nachhaltigkeit im Produktionsprozess erreicht werden kann. Gerade Leichtbaustoffe wie Aluminium oder Karbon sind in der Herstellung energieintensiv. Holz ist ein heimisch nachwachsender Rohstoff und steht ausreichend zur Verfügung. Durch die passende Fügetechnik können Materialien wie Holz stärker in sicherheitstechnischen und strukturellen Baugruppen Anwendung finden. Dabei kommen Verdichtungsverfahren zum Einsatz, durch die das Lignin, die Holzsubstanz, plastifiziert und damit bessere mechanische Eigenschaften gewinnt – wie zum Beispiel höhere Druck- oder Biegefestigkeit. Die strukturelle Veränderung durch den Verdichtungsprozess wirkt sich dabei direkt auf die Klebbarkeit des Materials aus, ein Effekt, der zum Teil durch die Anpassung der Fügeprozesse aufgehoben werden kann. Bei Fügungen zwischen metallischen und verdichteten Substraten sollten Vorbehandlungen erfolgen. Die Holzverdichtung ist in Kombination mit der passenden Fügetechnik insgesamt sehr vielversprechend und wird in Zukunft breitere Einsatzmöglichkeiten von Holz im Automobilbereich ermöglichen.
Mit Buchenholz Granaten aufhalten
Die Buche ist nicht nur ein Baum mit guter Resilienz gegen die Folgen des Klimawandels. Sie eignet sich auch hervorragend für hochverdichtete automobile Systemlösungen. Markus Büscher von der Delignit AG in Blomberg berichtete über das 1799 gegründete Unternehmen Delignit mit seiner langen Historie in der Entwicklung nachhaltiger Produkte und Lösungen – schon 1893 wurde dort die Buchen-Sperrholzplatte erfunden. Kern des Produktportfolios sind Anwendungen auf Buchenholzbasis für Bereiche wie leichte Nutzfahrzeuge, Schienenfahrzeuge und Transportschifffahrt oder militärische Anwendungen: Vielschichtige, gehärtete Platten aus Buchenholz halten Projektile und Granaten auf. Hochverdichtete Produkte und Systemlösungen von DELIGNIT weisen höchste Resistenzen auf gegen Feuer, Chemikalien, Erschütterungen oder hohe Temperaturfluktuationen auf und sind gemäß internationalen Standards zertifiziert. Die Optimierung des Materials fand einen aktuellen Höhepunkt in der Entwicklung eines Batterie-Sarkophags, der bisherige Lösungen aus Aluminium oder Stahl ersetzen kann und dazu um ein Vielfaches leichter ist.
Die digitale Veranstaltung wurde begleitet von einer bundesweiten und internationalen Zuhörerschaft aus Industrie und Forschung unterschiedlicher Fachrichtungen. Am Ende der Vorträge entstand daher ein reger Austausch zwischen Referenten und Teilnehmern, bei dem einige Themen wie Konstruktionsdetails, Waldumbau und Holzverfügbarkeit noch einmal intensiv diskutiert wurden. Die Organisatoren vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Institut für Fahrzeugkonzepte (FK) und proHolz Baden-Württemberg bedanken sich bei allen Teilnehmern und Referenten für die sehr gelungene Veranstaltung und arbeiten schon an der Fortführung des Themenkreises in 2022.