06.12.2024
„Die Kreislaufwirtschaft ist keine Frage des Neubaus.“
„Im Detail“ mit Dirk Hebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Ostfildern, 06. Dezember 2024. Die Bauindustrie verursacht 50 % des primären Energieverbrauchs, 36 % aller Feststoffabfälle, 40 % des CO2 und anderer Treibhausgase, sowie 50 % des Primärrohstoffverbrauchs. Ob es sich um Sand, seltene Erden oder wichtige Metalle handelt: Seit 1950 wächst die Entnahme von Rohstoffen weltweit exponentiell. Die vorhandenen Reserven von Rohstoffen reichen teils nur noch für wenige Jahrzehnte. Mit diesen Fakten stimmte Prof. Dipl. Arch. Dirk Hebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) die Teilnehmer des Seminars „Im Detail“ auf die Wichtigkeit von Kreislauffähigkeit und Nachverdichtung im Bauwesen ein.
Weg vom linearen Denken und Bauen.
Bis heute enden über 90 % der Baumaterialien, die in Gebäuden verbaut werden, in der Deponie oder der thermischen Verwertung, eine sortenreine Trennung ist meist nicht möglich. Der Fokus lag zudem in der Vergangenheit eher in der Verringerung der eingesetzten Primärenergie, nicht auf den Emissionen, so richtete sich auch staatliche Förderung auf Effizienz und gute Dämmung aus. Heute müssen wir uns nicht nur die Frage nach der Primärenergie stellen, sondern auch die Emissionen viel stärker in die Gesamtbetrachtung des Bauens miteinbeziehen. Dänemark geht hier mit gutem Beispiel voran und bindet Baugenehmigungen an einen Höchstwert von CO2-Ausstoß pro Quadratmeter. Bauherren ist dabei freigestellt, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Als Hilfe steht Bauherren und Planern ein Online-Berechnungstool „LCAbyg“ zur Verfügung, um die Kernwerte eines geplanten Gebäudes zu ermitteln. In diesem Tool zählen Bauten im Bestand und die Verwendung von Sekundärmaterialien beim Faktor Emissionen „0“, was aus technischer Sicht zwar nicht ganz korrekt ist, aber die Regierung wollte damit ein deutliches Zeichen für das kreislauffähige Bauen setzen. Hebel mit Blick auf den Upcycle Kindergarten der Lendager Group: „Ich glaube, dass in dieser Konzeption, so viel Material wie möglich in der Verwendung oder in der Verwertung zu halten, für uns Planende ein unglaubliches, auch ästhetisches Potential steckt.“
RoofKIT, Solar Decathlon Europe.
Bei dem internationalen Architektur-Wettbewerb Solar Decathlon Europe sind 18 Teams von Universitäten aus 10 Ländern angetreten, um zu beweisen, dass wir heute schon in der Lage sind, dem Planungszielt von „0 Emissionen“ relativ nahe zu kommen. In Wuppertal wurden drei Projekte umgesetzt: Die Weiterbebauung eines 60er Jahre-Gebäudes, die Lückenbebauung einer Gründerzeit-Zeile sowie eine Aufstockung auf ein bestehendes Gründerzeit-Gebäude. Bei der Aufstockung auf das Café ADA wurden um ein neues Tragwerk herum in Holz-Modulbauweise drei neue Geschoße auf den Bestandsbau aufgesetzt. Im mittleren Stockwerk wurde ein Gemeinschaftsraum und Treffpunkt für Bürgerbesprechungen und Veranstaltungen konzipiert. In den obersten Geschossen sind neue Wohnformen entstanden. In der Planung und in der Produktion muss die spätere Rückführbarkeit, Wiederverwendung und Weiternutzung mitbedacht und miteingeplant werden. Zum einen wurden nur Monomaterialien eingesetzt und auf Holzbinder wie Kleber verzichtet. Zum anderen wurden alle Planungsprozesse digital umgesetzt.
Bei der Wiederverwendung von Bauteilen handelt es sich um die schnellste und einfachste Art des kreislauffähigen Bauens: Bestehende Elemente werden, eventuell leicht bearbeitet, für ein neues Gebäude verwendet. Die Wiederverwertung ist der nächstgrößere Kreislauf: Materialien werden neu eingesetzt, müssen aber vorher einen Prozess durchlaufen. So stellt ein Hersteller aus England Platten aus Joghurtbechern her. Die Firma StoneCycling aus den Niederlanden stellt aus Abbruch neue Ziegelsteine mit ästhetischem Mehrwert her. Eine deutsche Firma sammelt Bruchglas, das angeschmolzen zu neuen Flachglaselementen verarbeitet wird. Der größte natürliche Kreislauf der Wiederverwendung ist die Kompostierung, dies betrifft alle organischen Materialien. Ein Beispiel hier sind zum Beispiel Isoliermaterialien aus abgestorbenem Seegras.
Selbstheilende Holzschutzmaterialien.
Das KIT selbst forscht an neuen Materialien wie einem Kleber aus Pilzmycel, um Klebstoffe zum Beispiel in OSB-Platten zu ersetzen. Der Holzschutz XYHLO von Xylotrade BV basiert ebenfalls auf Pilzen: Das betreffende Holz wird erst mit Leinöl behandelt, dann werden lebende Pilzsporen eines Pilzes aufgetragen. Der XYHLO-Pilz ernährt sich nur von Öl, er dringt nicht in das Holz ein. Der Pilz bleibt am Leben: Wenn das betreffende Holz später gebohrt oder geritzt wird, wächst die Schutzschicht innerhalb von wenigen Tagen wieder zu. Einzig das Leinöl muss nach einigen Jahren neu aufgetragen werden, damit der Pilz nicht verhungert. Um den Gedanken und die Forschung zum Thema Kreislauffähigkeit voranzutreiben, wurde auf Initiative des KIT eine Materialbibliothek in Zusammenarbeit mit deutschen Hochschulen entwickelt.
Bildquelle
Wenn nicht anders angegeben: KIT
Alle Informationen zu RoofKIT.
Materialbibliothek Deutscher Hochschulen.
Der Holzbau-Donnerstag
Der “Holzbau-Donnerstag” bietet drei kostenfreie Formate, um Sie mit auf die Reise in den modernen Holzbau und die gebaute Zukunft zu nehmen: Jeden ersten Donnerstag im Monat findet “Der Werkvortrag” statt, jeden zweiten Donnerstag im Monat das Seminar “Im Detail” und jeden dritten Donnerstag im Monat das Seminar “Cluster Innovativ”. Der Holzbau-Donnerstag ist eine Veranstaltung von proHolzBW im Auftrag der Holzbau-Offensive BW.