02.03.2021
„Ein großes Geschenk für die nachhaltige Gesellschaft von heute und morgen!“
Im proHolzBW-Interview: 10 Fragen an Ludwig Lehner, Vorstandsvorsitzender des neugegründeten Technikums Laubholz.
Ostfildern/Lenningen, 02. Februar 2021: Die Ziele sind ambitioniert, die Präsentation im September 2020 sorgte über die Landesgrenzen hinaus für Schlagzeilen und Aufmerksamkeit: Die Rede ist vom Technikum Laubholz, das vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz BW vor knapp sechs Monaten ins Leben gerufen wurde.
Bei der offiziellen Vorstellung beschrieb Minister Peter Hauk seine Erwartungshaltung: „Wir werden einen Forschungscampus errichten, der klimafreundliche Materialien aus Laubholz entwickelt, die beispielsweise erdölbasierte Kunststoffe ersetzen können. Zusammen mit zahlreichen Forschungseinrichtungen und Unternehmen soll in Baden-Württemberg ein `wood based valley` entstehen.“
Der Maßstab ist gesetzt – Grund genug nachzufragen: Im Interview mit Uwe André Kohler von proHolzBW spricht Ludwig Lehner, Vorstandsvorsitzender des Technikums Laubholz und Sprecher der Geschäftsführung, über den aktuellen Stand der Aufbauarbeit, über Ziele, Aufgaben, erste Erfolge – und überraschende Erfahrungen!
Herr Lehner, Sie sind beim Technikum Laubholz „Mann der ersten Stunde“, seit März 2020 kümmern Sie sich um den Aufbau. Warum braucht Baden-Württemberg diese Forschungseinrichtung?
Das Potential zur Nutzung von Laubholz entlang der Wertschöpfungskette Holz ist längst nicht ausgereizt. Baden-Württemberg hat jedoch das Zeug dazu – nämlich das Holz, die Kompetenz in der Forschung und eine umtriebige Gründerlandschaft. Außerdem konnten wir gerade im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe große Innovationslücken identifizieren. Wir bringen mit dem Fokus auf Laubholz alle Teilnehmer zusammen und versuchen, eine Lücke nach der anderen schnell und intelligent zu schließen.
Welche Ziele streben Sie mit dem Technikum an?
Ziel des Technikums Laubholz ist es, die Entwicklung innovativer und hochwertiger Anwendungen für Laubholz zu beschleunigen und für Baden-Württemberg international eine Spitzenposition in der laubholzbasierten Rohstoffverwendung zu besetzen. Wir möchten mit dem Technikum Laubholz weitere Akzente für Innovationen aus Holz in Baden-Württemberg setzen.
Nennen Sie uns bitte die künftigen Kernaufgaben?
Für das TLH wird der Weg eines Forschungsmodells eingeschlagen, der sich auf Design Research im Sinne von Machen und Ausprobieren konzentriert. Das Technikum Laubholz sieht sich auf dem Gebiet seiner Forschungsfelder als kreativer Treiber für die Verknüpfung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Die Kernaufgabe ist, erfolgversprechende Ergebnisse aus der Grundlagenforschung zu identifizieren, zu prüfen und bei positiver Bewertung beschleunigt vom Labor zur Industriereife zu führen. Das heißt, wir nehmen attraktive Vorhaben mit einem Technologischen Reifegrad von etwa 4 auf und führen das Vorhaben mit dem Errichten von Pilot- und Demonstrationsanlagen zur Industriereife mit einem Technologischen Reifegrad von 8 -9 (Anmerkung der Redaktion: Der international anerkannte Technologische Reifegrad gibt auf einer Skala von 1 bis 9 den Entwicklungsstand einer neuen Technologie an).
Es gibt durchaus kritische Stimmen, die Produkten aus Laubholz wenig oder nur eingeschränkte Marktchancen einräumen. Was entgegnen Sie dieser Einschätzung?
Ich lade gerne jede interessierte Stimme zu einem Spaziergang durch die Welt des täglichen Lebens ein. Beinahe jedes Produkt, das heute gebraucht oder verbraucht wird, kann aus Laubholz hergestellt werden. Es beginnt beim Dach über dem Kopf, erstreckt sich über Möbel, Textilien, Lebensmittel und Aromen, über Kosmetika, pharmazeutische Produkte, Papiere, Hygienepapier, Verpackung und endet nicht bei Automobilen, im Schienenverkehr, in der Luft- und Raumfahrt. Die Anwendungsmöglichkeiten von Holz und seinen Bestandteilen sind unerschöpflich und ein großes Geschenk für die nachhaltige Gesellschaft von heute und morgen.
Was ist für Sie in der Aufbauphase besonders wichtig?
Unser größtes Kapital sind die Mitarbeiter am Technikum Laubholz. Wir suchen nach engagierten neugierigen Menschen, die in interdisziplinären Teams leidenschaftlich an der Idee des Technikums arbeiten und sie mit Leben füllen. Und besonders wichtig ist natürlich auch der Zuspruch, den wir dankenswerter Weise neben den finanziellen Zuwendungen vom Land, von den Mitarbeitern in Behörden, Universitäten, Hochschulen und Unternehmen erhalten. Anspruch und Zuspruch treiben uns gleichermaßen an, die gewaltige Aufgabe des Aufbaus einer neuen Forschungseinrichtung zu bewältigen.
Insgesamt sind es acht Forschungsfelder, die Sie in den nächsten Jahren im Fokus haben. Mit welchen werden Sie beginnen?
Wir beginnen mit dem Forschungsfeld 1 – Faserbasierte Biopolymerwerkstoffe. Hier haben wir mit der DITF (Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung, Denkendorf) eine Kooperation gestartet. Wir werden in einem Pilotprojekt die industriereife Herstellung von Carbonfasern aus Cellulose bzw. Lignin nachweisen.
In einem zweiten gemeinsamen Projekt werden wir die Herstellung von Hochleistungsfasern aus Cellulose in Industriegröße nachweisen. Alle Produkte werden aus dem Rohstoff Buche hergestellt. Bisher haben viele dieser Fasern die Basis Polyacrylnitril. Die Herstellung von Carbonfasern aus Buche spart Kosten und schont die Umwelt.
Lassen Sie uns an der konkreten Umsetzung Ihrer Aufgaben teilhaben: Wie sieht im Moment ein normaler Arbeitstag von Ludwig Lehner aus?
Ich arbeite mit einer langen to-do-Liste und einem gut gefüllten Terminkalender. In der aktuellen Aufbauphase hat die Bildung von Strukturen, der Teamaufbau und die interne Kommunikation mit den bereits angestellten Kollegen höchste Priorität. Gleichzeitig gilt es die Interessen nach außen zu wahren. Das heißt, ich stimme mich derzeit täglich per Videokonferenz mit meinen Vorstandskollegen, sowie der Leiterin Personalwesen ab und versuche den Kontakt zu unseren Zuwendungsgebern und Kooperationspartnern aktiv zu halten. Wenn es zeitlich gelingt, pflege ich mein fachliches Netzwerk und lese gerne noch die eine oder andere Ausarbeitung zu interessanten Themen und Entwicklungen. Die Neugierde lässt nicht nach.
Gab es im ersten Jahr Ihres Wirkens auch überraschende Erfahrungen? Nennen Sie uns doch jeweils ein Beispiel, positiv wie weniger angenehm, wo Sie sagen: Hätte ich so nicht erwartet!
Ich hätte nicht erwartet, dass die Zustimmung zu unserem Vorhaben Technikum Laubholz aus allen Reihen der Gesellschaft in Baden-Württemberg so groß sein würde. Der Zuspruch und die Unterstützung sind wirklich unglaublich. Das erzeugt enorme zusätzliche Kraft und Motivation. Herausfordernd sind manchmal notwendige lange Verwaltungs- und Abstimmungsprozesse, die ich so aus meiner bisherigen unternehmerischen Tätigkeit nicht kenne. Da muss ich noch dazulernen.
Forschungsergebnisse sind das eine, wertvoll werden sie erst, wenn der Transfer in die konkrete Umsetzung und damit in die Praxis erfolgt. Wie werden Sie diesen Brückenschlag lösen?
Es ist unsere Aufgabe und unser Kerngeschäft, Forschungsergebnisse beschleunigt zur Industriereife zu führen. Wir wollen mit Sprunginnovation bestehende Sektoren, Produkte und Verfahren deutlich verändern und so neue Produkte, Netzwerke und Anwendungsfelder entstehen lassen. Ich denke, dies ist der Grund, warum meine Vorstandskollegen und ich ausgewählt wurden, das Technikum Laubholz aufzubauen. Wir bringen alle Erfahrung aus der Industrie mit. Und wir werden alles daransetzen, dass in der konkreten Umsetzung die Kernkompetenz und Stärke des Technikums Laubholz liegen wird.
Abschlussfrage, versehen mit einem Blick in die Zukunft: Wo muss das Technikum Laubholz in fünf Jahren stehen, damit der Vorstandsvorsitzende Ludwig Lehner von einer Erfolgsgeschichte spricht?
Alle acht Forschungsfelder sind besetzt. Der Erfolg der prioritär eingeführten vier Forschungsfelder führt zu ersten Erlösen aus der Vergabe von Lizenzen und Verwertungsrechten. Die Startup Farm entlässt ihre ersten Einhörner (Ausgründungen). Und die ersten im Technikum Laubholz entwickelten Produkte begegnen mir in meinem täglichen Leben beim Einkaufen, in der Bahn und vielleicht auch auf der Straße.
Herr Lehner, wir danken Ihnen für das Interview.