20.08.2019
Erstaunlich, was Holz kann
Zum Beispiel Plastik ersetzen. Wie das geht, zeigt die Firma Tecnaro aus Ilsfeld im Landkreis Heilbronn auf beeindruckende Art und Weise. Ihre biobasierten Werkstoffe substituieren bereits heute den Kunststoff in zahlreiche Produkten, die jedem im Alltag begegnen: Kaffeekapseln, Koffer, Spielzeug, Stifte etc. Grenzen gäbe es so gut wie keine, verrät Tecnaro Geschäftsführer Jürgen Pfitzer proHolzBW im Interview.
Ostfildern, 20. August 2019.
proHolzBW: Herr Pfitzer, Sie sind gemeinsam mit Helmut Nägele Geschäftsführender Gesellschafter der TECNARO GmbH in Ilsfeld im Landkreis Heilbronn. Der Firmenname steht synonym für „Technologien für die industrielle Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen in der Kunststoffverarbeitung“. Sie haben vor über 20 Jahren mit der Forschung als Pioniere in diesem Bereich begonnen und sind heute Weltmarktführer. Wo und wie nahm diese Erfolgsgeschichte ihren Anfang?
Pfitzer: Helmut Nägele und ich sind 1996 etwa zeitgleich ans Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie in Pfinztal bei Karlsruhe gekommen. Dort wurde eine neue Polymertechnik-Abteilung gegründet für die wir zunächst Themenbereiche bestimmt haben, in denen wir forschen wollten. Die heißen Themen, an denen damals alle mitwirken wollten, waren Rapid Prototyping, Stereolithografie und ähnliche Verfahren. Wir haben uns dann aber gefragt, motiviert durch die Klimakonferenz in Rio, wo sind denn eigentlich die CO2-Einsparungspotentiale in der überwiegend erdölbasierten Kunststofftechnik? Daraufhin haben wir einen Projektantrag beim Land Baden-Württemberg gestellt und haben darüber ein erstes Forschungsbudget erhalten.
proHolzBW: Sie sind heute in der Lage fossile Kunststoffe bis zu 100 Prozent durch Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen zu ersetzen. Biomasse aus Holz spielt dabei eine zentrale Rolle, insbesondere das Lignin. Wie wird dieser Stoff gewonnen?
Pfitzer: Lignin fällt bei der Zellstoffproduktion für die Papierindustrie als Nebenprodukt an. Dr. Norbert Eisenreich, unser damaliger Abteilungsleiter, arbeitete zu dieser Zeit an einem Zellstoffaufschlussverfahren, dem sogenannten Aquasolv-Verfahren, bei dem man nur mit Druck, Hitze und Wasser, ähnlich wie in einem Schnellkochtopf, die Zellulose von Lignin und Hemizellulose trennt. Wir haben dann mit diesem Nebenprodukt experimentiert.
proHolzBW: Wie groß ist denn der Ligninanteil im Holz und in welchen Mengen ist der Rohstoff verfügbar?
Pfitzer: Jeder Baum besteht bis zu 30 Prozent aus Lignin. Weltweit fallen bei der Zellstoffproduktion etwa 60 Millionen Tonnen an. Im Prinzip ist Lignin in Unmengen verfügbar. Die Pflanzen produzieren ohne Zutun des Menschen jährlich 20 Mrd. Tonnen. Beim Wachstum der Pflanzen sorgen die Fasern für die Zugfestigkeit, das Lignin für die Druckfestigkeit.
proHolzBW: Wie wurde Lignin verwendet, bevor sie seine Eignung für die Produktion biobasierter Kunststoffe entdeckt haben?
Pfitzer:Lignin wurde und wird zum größten Teil verbrannt. Wir entziehen das Lignin aber auch nicht der thermischen Verwertung. Wir erweitern die Kaskadennutzung von Holz um eine, gegebenenfalls auch mehrere Stufen, da unsere Werkstoffe recyclingfähig sind. Am Ende ihres Lebenszyklus werden die Produkte kompostiert oder eben verbrannt.
proHolzBW: Ihre Werkstoffe sind biobasierte Granulate, die Sie je nach gewünschter Eigenschaft für das Endprodukt aus über 4.500 unterschiedlichen Rezepturen mischen können, wobei Sie sich auf einen Kern von 30 Basisrezepturen fokussieren. Ihre Kunden verarbeiten die Granulate dann zu verschiedenen Produkten weiter. Wie funktioniert das?
Pfitzer: Die Granulate werden erhitzt, aufgeschmolzen und dann analog zu Kunststoff verarbeitet. Also durch Spritzgießen, Extrudieren, Blasformung, Kalandrieren oder Verwendung im 3D-Drucker.
proHolzBW: Es ist erstaunlich, dass bei einem Material, dass in solchen Mengen verfügbar ist niemand vor Ihnen auf die Idee kam, es für andere Dinge zu verwenden, als es zu verbrennen. Wie sind Sie darauf gekommen, Lignin als Ersatzstoff für Plastik auszuprobieren?
Pfitzer: Wir haben etliche verschiedene nachwachsende Rohstoffe überprüft und sind letztendlich durch Dr. Eisenreich mit dem aufgeschlossenen Lignin aus dem Aquasolv-Verfahren in Berührung gekommen. Wir hielten es für vielversprechend und haben daraufhin die Forschungen intensiviert. Zunächst hatten wir es als Füllstoff in Betracht gezogen. Dann entdeckten wir aber immer wieder neue Eigenschaften, so dass wir uns entschieden, uns gänzlich auf die Ligninforschung zu konzentrieren.
proHolzBW: Wie viel Lignin verarbeiten Sie mittlerweile?
Pfitzer: Wir haben eine Produktionskapazität von 10.000 bis 16.000 Tonnen über alle Werkstoffe hinweg. Denn wir verarbeiten ja nicht nur Lignin, sondern ein breites Feld nachwachsender Rohstoffe.
proHolzBW: Welche anderen Bestandteile von Bäumen verwenden Sie noch?
Pfitzer: Wir verwenden auch Holzfasern, Zellulose separiert oder in verschiedenen Ligninverbindungen, aber auch normales Holz, zum Beispiel als Sägemehl. Darüber hinaus kommen andere Naturfasern wie Hanf, Sisal, Flachs oder Kokos zum Einsatz.
proHolzBW: Wenn man sich die Beispiele von Produkten anschaut, die mit Tecnaro Werkstoffen produziert werden können, stellt man fest, dass Sie in so gut wie allen Lebensbereiche vertreten sind: Haushaltswaren, Verpackungen, Bekleidung, Möbel, Musikinstrumente, technische Teile, Schreib- und Spielwaren. Wie schätzen Sie die weiteren Entwicklungschancen für Ihre Produkte ein?
Pfitzer: Der Rohstoff Holz wird immer mehr an Bedeutung gewinnen und zu einem zentralen Gut auf dem Weltmarkt werden. Insbesondere dadurch, dass man ihn chemisch aufschließen und für zahlreiche Zwecke nutzbar machen kann. Die Förster und Waldbesitzer werden die Ölprinzen der Zukunft sein, mit dem Unterschied, dass ihr Geschäft deutlich nachhaltiger ist. Unser Slogan lautet „Alles ist möglich und kostet nicht die Welt“. Und so ist es auch. Früher haben wir gesagt, dass Autoreifen wahrscheinlich zu schwierig zu realisieren sein werden, aber auch das schließen wir nicht mehr aus.
proHolzBW: Ihrem Geschäftsmodell sind also keine Grenzen gesetzt.
Pfitzer: Nein, im Prinzip gibt es keine Grenzen. Das ist jedoch Fluch und Segen zugleich. Bei einer solchen Anwendungsbreite, muss man sehr aufpassen, dass man sich nicht verrennt und nicht nach allen Mücken schlägt. Man muss sich immer wieder auf Kernbereiche fokussieren.
proHolzBW: Was sind diese Kernbereiche, wo setzen Sie momentan die Schwerpunkte?
Pfitzer: Traditionell sind wir im Bereich Spielwaren sehr präsent. Zudem sind wir Hauptzulieferer von Urnen für Friedwälder und Ruheforste. Unsere Urnen sind wie die aus Stärke produzierten Konkurrenzprodukte biologisch abbaubar, haben aber den Vorteil, dass sie Wildschweinen nicht schmecken und deshalb nicht von ihnen ausgegraben werden. Kürzlich haben wir die ersten Bierkästen aus 100 Prozent nachwachsenden Rohstoffen produziert, mit denen wir jetzt bei Biobrauereien und Bioweingütern den Markteinstieg angehen. Neu sind auch die ersten, von uns produzierten, heimkompostierbaren Strohhalme der Welt.
proHolzBW: Aus Ihren Werkstoffen werden auch biologisch abbaubare Kaffeekapseln produziert.
Pfitzer: Ja, die können mitsamt dem Kaffee im Inneren der Kapsel auf den Kompost und müssen nicht aufwendig getrennt werden. Und sie haben noch einen weiteren Vorteil gegenüber den herkömmlichen Kunststoffkapseln, weil sie den Kaffee besser gegen Sauerstoff abdichten. Dadurch bleibt der Kaffee länger haltbar. Bis zu zwei Jahre. Das erreichen sie sonst nur mit Aluminiumkapseln und die sind nicht nur nicht biologisch abbaubar, sondern auch energieintensiv in der Produktion.
proHolzBW: Biologische Abbaubarkeit ist aber kein grundsätzliches Ziel, dass Sie verfolgen. Ihre Werkstoffe werden auch für Produkte genutzt, die besonders langlebig und eben nicht abbaubar sein sollen.
Pfitzer: Die biologische Abbaubarkeit ist nur eine Funktion, die wir den Werkstoffen geben, wenn wir sie brauchen. So wie wir auch die Höhe der Zugfestigkeit der Materialien einstellen können. Unser Primärziel war immer die Einsparung von CO2. Das erreichen wir durch die Substitution fossiler durch nachwachsende Rohstoffe. So lange diese in den Produkten gebunden sind wirken sie wie eine CO2-Senke. Am Ende des Lebenszyklus wird bei unseren Werkstoffen – anders als bei erdölbasierten Produkten – nur die Menge an CO2 durch Verbrennen oder Kompostierung freigesetzt, die zuvor der Atmosphäre durch Photosynthese entzogen wurde.
proHolzBW: Gibt es ein Produkt, dass Sie noch nicht aus Ihren Werkstoffen gefertigt haben, das Sie aber gerne mal ausprobieren möchten?
Pfitzer: Was natürlich geradezu nach unseren Rohstoffen schreit, sind Papierbeschichtungen für Hochglanzformate. Die wären dann auch 100 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen statt wie bisher ein Stoffverbund mit Kunststoff. Das wäre ein super Produkt.
proHolzBW: Tecnaro bietet auch Produkte für den Forst, ein Verbissschutz für junge Bäume, der sich biologisch abbaut.
Pfitzer: Das Projekt befindet sich noch in der Entwicklung, richtig am Markt ist es noch nicht.
proHolzBW: Wenn Sie einen Förster oder Waldbesitzer suchen, der das Produkt testet, finden wir vielleicht jemand auf diesem Weg?
Pfitzer: Sehr gerne. Hier können wir mit der biologischen Abbaubarkeit des Produktes wieder einen echten Mehrwert bieten. Ein herkömmlicher Verbissschutz aus Kunststoff zersetzt sich zwar aufgrund der Degradation durch die Einwirkung von UV-Licht auch. Allerdings hinterlässt dieser Prozess Mikroplastik im Waldboden. Das passiert mit unserem Produkt nicht.
proHolzBW: Herr Pfitzer, wir danken Ihnen für das spannende Gespräch und fühlen uns in unserem Leitspruch bestätigt: „Erstaunlich, was Holz kann“.