25.07.2025
„Für uns war das Preis-Leistungsverhältnis deutlich von Vorteil.“
Helmut Rikker, Rikker Holzbau GmbH, Affalterbach
Mario Reisacher, Geiger Holzystembau Wangen GmbH & Co. KG
Sandra Daniela Roth, Eigenbetrieb Städtischer Wohnbau Kirchheim unter Teck (SWK)
Joachim Hörrmann, proHolz Baden-Württemberg GmbH
Uwe André Kohler, proHolz Baden-Württemberg GmbH
Dirk Oettel, Merkle Holzbau GmbH
Dr. Tina Bergmann, Dolde, Mayen & Partner, Stuttgart
Eine Veranstaltung von Akademie Ländlicher Raum und proHolz Baden-Württemberg.
Ostfildern, 25. Juli 2025: Zum dritten Mal fand die von proHolzBW und Akademie Ländlicher Raum BW im Auftrag der Holzbau-Offensive Baden-Württemberg veranstaltete Fortbildung „Holzbau für Flüchtlingsunterkünfte“ statt. Auch wenn der Zustrom von Flüchtlingen im Vergleich zu früheren Jahren deutlich nachlässt, stößt die eine oder andere Kommune hinsichtlich flexibler Unterbringungsmöglichkeiten immernoch schnell an ihre Grenzen. Gebäude in Holzbauweise bieten hierfür besonders geeignete Lösungen. Wo und wie lassen sich zusätzliche Kapazitäten schaffen – und für wie lange? Wie müssen Gebäude beschaffen sein, wenn eine nachhaltige Nutzung im Vordergrund steht? Und welche vergaberechtlichen Rahmenbedingungen sind dabei zu beachten? Im Rahmen der Online-Veranstaltung informierte ein ausgesuchter Expertenkreis über die Möglichkeiten, schnell und flexibel Wohnraum in Holzbauweise zu schaffen – von Best Practice-Beispielen, einer Zehnjahres-Bilanz Holzbau für Flüchtlingsunterkünfte bis hin zur Betrachtung der vergaberechtlichen Rahmenbedingungen.
„Der Holzbau bietet dafür die richtigen Lösungen.“
proHolzBW-Geschäftsführer Uwe André Kohler eröffnete die Veranstaltung mit einem Überblick über die aktuellen Zahlen. Auch wenn der Zustrom von Flüchtlingen mit aktuell um die 1000 Asylsuchenden pro Monat im Vergleich zu früheren Jahren deutlich nachlässt, besteht bei den Kommunen immer noch großer Bedarf im Bereich schneller und flexibler Wohnungsbau. Wurden im Jahr 2024 in BW 22.000 Asylanträge gestellt, zeichnet sich für das Jahr 2025 ein Rückgang von rund 43% ab. „Entgegen dieser Entwicklung ist der Bedarf an Unterbringung in den Kommunen und Landkreisen vorhanden,“ so Kohler, „und der Holzbau bietet dafür die richtigen Lösungen.“
10 Jahre Holzbau für Flüchtlinge – Do’s and Don’ts
Angestoßen durch das Ministerium für Ländlichen Raum und Entwicklung BW wurden im Herbst 2015 zahlreiche Bauten für Flüchtlinge in Holzbauweise konzipiert und erstellt. proHolzBW hat zahlreiche Projekte begleitet und die Kerndaten in einer Handreichung erfasst, die beispielhaft vorgestellt wurden. Joachim Hörrmann, Koordinator Holzbau bei proHolzBW: „Kurzfristig erstellte Gebäude sollen langfristig für eine Nachnutzung geeignet sein.“ Und weiter: „Die Fehler der 50-er und 60-er Jahre nicht wiederholen!“ Es sollten keine Abstriche bei den energetischen Standards gemacht werden und die Gebäude sollen den Standards des sozialen Wohnungsbaus gerecht werden.
„Wir sind da relativ schnell in der Vorfertigung.“
Helmut Rikker von Rikker Holzbau GmbH in Affalterbach stellte mehrere Projekte für das Landratsamt Ludwigsburg vor. In Pleidelsheim, Erdmannhausen und Eberdingen wurden auf Basis von öffentlichen Ausschreibungen über das deutsche Vergabeportal Projekte für Flüchtlingsunterkünfte akquiriert und in Holzbauweise erstellt. Fassadenalternativen, Heizung, Gebäudetechnik: vorgestellt wurden alle wichtigen Kenndaten. Rikker zur Bauzeit eines zweigeschossigen Projekts in Pleidelsheim: „Wir sind da relativ schnell in der Vorfertigung. Wenn die Ausführung klar ist […], geht die Bauzeit schnell.“ Die Wohneinheiten sind je nach Projekt für Einzelpersonen, vier oder acht Personen ausgelegt und flexibel anpassbar.
„Alles, was irgendwie möglich ist, bauen wir im Werk ein.“
Mario Reisacher von Geiger Holzsystembau stellte Wohnbauprojekte und Flüchtlingsunterkünfte in Ulm, Ladenburg und Freiburg vor, die alle in Modulbauweise errichtet wurden. Elektroinstallation, Heizung, Dämmung, Fenster – der hohe Vorfertigungsrad der Module in Linienproduktion trägt zu einer effizienten Produktion mit kurzen Bauzeiten und hoher Qualität bei. Die Vorteile für den Bauherren liegen in einer kurzen Bauzeit und größtmöglichen Planbarkeit, was die Fehlerquote und zusätzliche Kosten bei einem Holzbauprojekt verringern oder verhindern kann.
Welche Hürden gilt es zu überwinden?
Sandra Rot, Geschäftsführung Städtischer Wohnbau Kirchheim unter Teck und Dirk Oettel von Merkle Holzbau GmbH in Bissingen unter Teck stellten die Holzbauten für Geflüchtete am Güterbahnhof Kirchheim unter Teck vor, die unter dem Druck entstanden sind, möglichst schnell Wohnraum bereitzustellen. Entsprechend der Ausschreibung mussten geeignete Firmen innerhalb von 15 Tagen gefunden werden, oder das Projekt würde abgebrochen. Der Preis war aufgrund der Dringlichkeit das vorrangige Zuschlagskriterium, weiterhin die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit als auch Zuverlässigkeit. Bei den Vergabekriterien standen Nachhaltigkeit, Regionalität und der „Verzicht auf nasse Baustoffe“ im Fokus – der Weg zu einer Änderung der Bauweise von ursprünglich Container- hin zu Holz-Element-Bauweise war damit frei und wurde vom Bauherren und den Projektpartnern unterstützt. Das bedeutete auch, bei der Ausschreibung den Fokus auf Faktoren zu legen wie Gebäudelebensdauer, Abschreibungszeitraum und Werterhalt. Roth: „Für uns war das Preis-Leistungsverhältnis […] deutlich von Vorteil.“ Dirk Oettel von Merkle Holzbau GmbH gab den Teilnehmern Einblicke in den Planungs- und Bauablauf und kam dabei auch auf die Zusammenarbeit der Projektpartner zu sprechen. Wie funktionieren Optimierungen und Anpassungen des Bauantrags? Welchen Energiestandard soll das Gebäude erfüllen, welche Materialien werden verwendet? Auch die Abstimmung über DIN- und andere Normen ist wichtig.
Kann ich einen Holzbau in meiner Ausschreibung vorgeben?
Das Ausschreibungs- und Vergaberecht kann für die öffentliche Ausschreibung einige Herausforderungen bereithalten. Es gilt daher für alle beteiligten Projektpartner, sich intensiv mit dem Prozedere auseinanderzusetzen und möglichst die Expertise von im Holzbau erfahrenen Projektpartnern miteinzubeziehen. Dr. Tina Bergmann von Dolde, Mayen & Partner in Stuttgart gab den Teilnehmern einen Überblick über die neuesten Entwicklungen im Vergaberecht. Das Vergaberecht ist zweigeteilt. Bis zu einem bestimmten Schwellenwert (5,538 Mio. EUR) kommt nationales Recht zum Tragen, darüber hinaus gilt EU-Recht. Bei beiden kommt laut Bergmann das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers zum Tragen: „Wenn ich mich als Kommune entscheide, dass ich einen Holzbau möchte, in welcher Ausprägung auch immer […], dann mache ich vom Grundsatz her von meinem Leistungsbestimmungsrecht Gebrauch.“ Hierbei sollen mittlerweile auch qualitative, umweltbezogene und innovative Aspekte berücksichtigt werden. Bergmann: „Die reine Preisvergabe ist möglich, aber eigentlich nicht gewünscht.“ Weiter ging die Expertin auf das Gebot der produktneutralen Ausschreibung ein: „Holzbau ist keine Produktvorgabe!“ Allerdings kommt es durch eine Entscheidung des EuGH im Januar 2025 zu einer neuen Einschätzung, die die Bewertung von Materialvorgabe und Produktvorgabe noch schwieriger macht und, je nach Fall, die Vorgaben in die gleiche Kategorie einstufen kann. Neueste Ergänzungen des EuGH führen zu dem Ergebnis, dass Materialvorgaben, beispielsweise zum Holzbau, zulässig sein können, insbesondere aufgrund der angestrebten Ästhetik, oder sie sind durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt.
Fazit – ein Nachmittag mit geballter Ladung an Informationen zum Thema Holzbau für Flüchtlingsunterkünfte! Wir danken den Referenten für die informativen Beiträge und den über 200 Teilnehmern für Ihre vielen Fragen und Anmerkungen. Alle Referenten stehen für weitere Auskünfte zur Verfügung und können jederzeit direkt zum Thema kontaktiert werden.
Fotos: proHolzBW
Veranstalter: proHolzBW im Auftrag der Holzbau-Offensive Baden-Württemberg und in Kooperation mit der Akademie Ländlicher Raum Baden-Württemberg.