20.06.2019
Holzverwendung in der Faserforschung - ein Einblick

Prof. Markus Milwich

Holz-Carbon Verbund mit hervorragender Tragfähigkeit

Bio-Faserverbundwerkstoff „Cellun“ aus 100% recycelbarer Cellulose
Die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF) sind das größte Textilforschungsinstitut Europas und beschäftigen sich mit allen Forschungsfeldern, die es landläufig gibt: die älter werdende Gesellschaft, Mobilität insbesondere Elektromobilität, Materialien für Leichtbau, Smarte Textilien, technische Textilien, Bekleidung insbesondere Funktionsbekleidung.
Prof. Dr.-Ing. Markus Milwich, Bereichsleiter Faserverbund- und Flechttechnik, ist seit 30 Jahren am Institut und hat bereits unzählige Projekte umgesetzt. Ursprünglich aus der Medizintechnik kommend forscht und entwickelt er im Bereich des textilen Leichtbaus bzw. der Faserverbundwerkstoffe. Themen in diesem Bereich sind die (Weiter-) Entwicklung von Ligninfasern, Polyethylenfasern und Polyacrylnitrilfasern, aus denen an den DITF neue, kostengünstige Carbonfasern hergestellt werden können. Sehr viel Know-How besteht in der Herstellung von Keramikfasern und deren Verarbeitung zu Keramikfaserverbundwerkstoffen.
Ron Zippelius, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit proHolzBW, traf sich mit ihm zum Gespräch, um in Erfahrung zu bringen, welche Rolle Holz in der Faserforschung spielt? Das folgende Interview ist in der Ausgabe 3/2019 des Waldwirt, der Mitgliederzeitschrift der Forstkammer Baden-Württemberg e. V. erschienen.
proHolzBW: Wie man an den Forschungsbereichen der DITF sieht, beschäftigt sich die Textil- und Faserforschung mit sehr vielen Faserstoffen und deren Weiterverarbeitung. Wir möchten gerne erfahren, was heutzutage aus Holz bzw. Holzfasern werden kann? Gibt es einen Schwerpunktbereich in dem Holzfasern zum Einsatz kommen oder ist es ein weites Feld mit vielen Anwendungsmöglichkeiten?
Prof. Milwich: Mein Spezialgebiet sind die Faserverbundwerkstoffe. Diese sind klassischer Weise Carbonfasern, Glasfasern, ultrahochmolekulare Polyethylen-Fasern und Aramidfasern, die auch für Personenschutz und Schutzwesten eingesetzt werden. Carbonfaserverbunde haben eine Dichte von 1,8 und sind bis zu sechsmal leichter als Stahl (Dichte 7,8) – bei gleicher Festigkeit und gleichem Elastizitätsmodul. Glasfasern sind mit einer Dichte von 2,4 ebenfalls leichter als Stahl, aber wesentlich kostengünstiger als Carbonfasern.
Der Bereich der Faserverbundwerkstoffe teilt sich auf in Endlosfasern (>50 mm Länge), Langfasern (1-50 mm) und Kurzfasern (0,1-1 mm). Naturfasern sind im Sinne der Faserverbundwerkstoffe Langfasern mit einer Länge von 5-70 mm, wobei Abacafasern sogar bis zu zwei Meter lang sind. Naturfasern werden bereits in vielen Bereichen der Technik eingesetzt, unter anderem bei Autos oder als Seile. Baumwolle wird beispielsweise bei den Sitzbezügen eingesetzt. Leinen, Flachs, Hanf und Kokos werden ebenfalls als Biowerkstoffe verwendet.
Deutschland ist ja ein führender Standort für Holzwerkstoffe und produziert Faserplatten, Dämmwerkstoffe sowie Vliese für die Automobilindustrie aus Holzfasern. Sehr viel Buchenholz wird auch für die Herstellung von Viskosefasern verwendet, welche überwiegend in der Bekleidung zum Einsatz kommen. Aus der Papierherstellung bleibt sehr viel Lignin als Reststoff übrig. Die Fa. TECNARO hat Techniken entwickelt, wie aus diesem Lignin Bioverbundwerkstoffe hergestellt werden können.
In einer Zusammenarbeit von unserer AFBW (Allianz faserbasierte Werkstoffe) mit der proHolzBW überlegen wir in gemeinsamen Workshops, wie im Sinne der Nachhaltigkeit Holzfasern noch stärker genutzt werden können.
Der zweite Berührungspunkt zum Holz kommt über die Bionik. In der Bionik schauen wir uns makroskopisch und mikroskopisch die Lage der Holzfasern im Holz an und untersuchen, wie das Wachstum der Bäume auf äußere Wind- und Schneelasten reagiert. Diese Erkenntnisse und die dahinterstehenden Funktionsprinzipien versuchen wir mit Faserwerkstoffen umzusetzen und optimierte Faserverbunde herzustellen. In anderen Bereichen der Textiltechnik werden beispielsweise Fasermischungen aus Flachs und Baumwolle eingesetzt. Wir überlegen uns, ob man auch Holzfasern mit anderen Fasern mischen könnte.
proHolzBW: Sie beobachten also die Bäume und deren Wachstum. Was für Rückschlüsse können Sie daraus ziehen?
Prof. Milwich: In der Biomimetik oder der Bionik beobachtet man wie Pflanzenfasern beim Wachstum verschiedene Richtungen einlegen, um eine bestimmte Festigkeit zu erreichen. Die Natur arbeitet mit Gradienten von fest bis schaumartig und spielt mit den Faserrichtungen. In und durch diesen Prozess spart die Natur seit Millionen von Jahren Energie und Material. Dadurch schaffen sich Pflanzen Vorteile. Sie sind schneller als ihre Nachbargewächse, können diese unterdrücken, kommen schneller zum Licht und verbessern ihre Überlebenschancen.
proHolzBW: Was war denn der Anlass, auf Biofasern zu setzen und zu forschen, was sich in diesem Bereich umsetzen lässt?
Prof. Milwich: Das wurde durch den Trend zu Nachhaltigkeit und Bioökonomie angeschoben. Ein Studierendentag, an dem wir verschiedene Workshops für Studierende durchgeführt haben, hat das bestätigt. Mein Workshop zum Thema Nachhaltigkeit wurde von mehr als der Hälfte der Teilnehmer ausgewählt. Das zeigt, dass das Thema für jungen Leute relevant ist.
Der wachsende Plastikteppich in den Ozeanen war sicher auch nochmal ein ganz entscheidender Faktor, der der Forschung im Bereich der Biofasern einen Schub versetzt hat. Kürzlich habe ich einen Kollegen aus Graz getroffen, der berichtet hat, dass bei ihm nur noch wenige Studenten das Studien-Fach Kunststoffkunde belegen. Der breite Tenor dort sei: „Kunststoff ist schlecht für die Umwelt“. Dennoch können wir in vielen Bereichen nicht auf Kunststoffe verzichten. Deshalb müssen wir nach weiteren kostengünstigen biologischen Alternativen zu den bisherigen erdölbasierten Ausgangsstoffen suchen.
An den DITF untersuchen wir in vielen Projekten den Einsatz von Biowerkstoffen, bei denen wir teilweise selber entwickelte, biobasierte Fasern mit biobasierten Matrixwerkstoffen oder sogar Bioklebern zu Faserverbundbauteilen verarbeiten, beispielsweise Fassadenprofile.
proHolzBW: Welche Biofasern kommen denn derzeit aus deutschem Anbau oder bestenfalls gar aus unseren Wäldern?
Prof. Milwich: Das sind überwiegend Hanf und ein wenig Leinen, aber eher in geringen Mengen. Der Großteil der Fasern kommt aus Belgien, Frankreich oder Ungarn. Technische Einsatzgebiete sind z.B. Formpress-Teile für die Automobilindustrie.
Brennnesseln werden gerade gezüchtet, um zu schauen, wie man deren Fasern nutzen kann. Holzfasern selber sind aber für den Einsatz in hochlasttragenden Faserverbundwerkstoffen zu kurz. Entweder man splittert das Holz wie in der Holzfaserplatte oder macht daraus langkettige Viskosefasern.
proHolzBW: Sie hatten zuvor erwähnt, dass zur Herstellung der Viskosefasern viel Buchenholz verwendet wird. Das klingt vielversprechend, weil wir ja davon ausgehen, dass die Buchen durch den Klimawandel begünstigt werden und sich die Bestände in Deutschland entsprechend ausdehnen. Wie viel Buchenholz wird für die Viskoseproduktion denn benötigt?
Prof. Milwich: Die Firma Lenzing in Österreich verarbeitet am Standort Lenzing laut Geschäftsbericht einen Güterzug Buchenholz pro Tag zu Zellstoff. Allerdings hat die Viskoseerzeugung aus Buchenholz Konkurrenz bekommen durch die Buchenholz-Hackschnitzel für die Heizungen. Lenzing jedoch hat langfristige Lieferverträge, welche eine verlässliche Versorgung mit Buchenholz garantieren. Das ist wichtig, weil die Viskosegewinnung immer auf eine Holzart optimiert ist. Schnelles Umschwenken auf ein anderes Holz ist nicht so einfach möglich.
proHolzBW: Was bedeutet ein Güterzug, um was für eine Größenordnung geht es da und wo kommt das Holz her?
Prof. Milwich: Das sind ca. 35 Güterwagen mit Buchenholzstämmen. Am Standort Lenzing in Oberösterreich kommt das Holz zu ca. 45 % aus Österreich und 20% Deutschland, der Rest aus der Slowakei, Tschechien, Ungarn und Slowenien.
proHolzBW: Gibt es für Viskose keine Produktionsstätten in Baden-Württemberg?
Prof. Milwich: In Baden-Württemberg soweit ich weiß nicht. In Deutschland gibt es mit Kelheim Fibers in Kelheim und Cordenka in Obernburg Zellstofffirmen, die ebenfalls Buche verarbeiten.
proHolzBW: Wie genau läuft der Verarbeitungsprozess vom Baum zur Viskosefaser ab?
Prof. Milwich: Der Baum wird geschält und fährt dann durch eine Art riesigen Flugzeugpropeller aus Stahl, der den Stamm kleinhäckselt. Das ist sehr spektakulär. Dann wird das Holz aufgekocht und die sich dadurch lösenden Molekülketten werden anschließend wieder chemisch zusammengesetzt und zu Endlosfasern ausgesponnen. Beispielsweise wird auch Bambus im ähnlichen Prozess ebenfalls zu Viskose verarbeitet.
proHolzBW: Wo finden Lignin und Viskose denn ihre Hauptanwendungsbereiche?
Prof. Milwich: Lignin wird als Abfallstoff der Papierindustrie zurzeit noch fast ausschließlich verbrannt. Andrerseits zeigt die Firma TECNARO, wie man mit dem modifizierten Holzklebstoff Lignin beispielsweise Lautsprecherchassis, Verpackungen, Musikinstrumente, Bauwerkstoffe oder Haushaltswaren fertigen kann. Viskosefasern finden Verwendung für Bekleidung, Heimtextilien, Medizin- und Hygieneprodukte, Reifenkarkassen, Bremsschläuche, Filter oder Förderbänder. Das Innenfutter von Anzügen zum Beispiel ist häufig aus Viskose. Sie hat den Vorteil, dass sie feuchtigkeitsregulierend wirkt. Schals sind ebenfalls häufig aus Viskose.
proHolzBW: Herr Prof. Milwich, wir danken Ihnen für das Gespräch und die Einblicke in dieses spannende Forschungsfeld.