23.05.2024
„Nicht Skandinavien, nicht Kanada: Die DACH-Region hat sich international als Vorreiter im modernen Holzbau etabliert.“(Helmut Spiehs, Binderholz)
Der dritte Aufschlag des „Fachkongress am Bodensee: Drei Länder, eine Mission: Holzbau – klimapositiv und smart“ lockte über 500 Teilnehmer.
Friedrichshafen/Ostfildern, 23. Mai 2024. Der dritte Fachkongress am Bodensee lockte mit hochkarätigen Beiträgen zum klimafreundlichen Bauen vom 02. bis 03. Mai 2024 über 500 Holzbau-Interessierte ins Graf-Zeppelin-Haus in Friedrichshafen. Der Kongress wird von proHolzBW im Auftrag der Holzbau-Offensive Baden-Württemberg in Kooperation mit Lignum Holzwirtschaft Schweiz, vorarlberger holzbau_kunst, und proholz Bayern veranstaltet.
Der Fachkongress am Bodensee startete am Donnerstag, den 02. Mai 2024 mit hochkarätigen Beiträgen zu Gegenwart und Zukunft des klimafreundlichen Bauens im Graf-Zeppelin-Haus direkt am Ufer des Bodensees. Als Einstieg ins dicht gepackte Vortragsprogramm gab Prof. Stefan Leupertz der 3D2L GmbH den Teilnehmenden einen Einblick in die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen und Herausforderungen des Bauens mit Holz. Lukas Dürr von Intep Integrale Planung GmbH verglich die Klimafreundlichkeit von klassischem mineralischem Bau und Holzbau und stellte in seinen Analysen weitere, teils vergessene Baumaterialien wie Lehm oder Sandstein vor. Minister Hauk MdL hob in seiner Ansprache am Vormittag die Relevanz des klimapositiven Bauens mit nachwachsenden Ressourcen zur klimafreundlichen Transformation des Bausektors hervor. Die Holzbau-Offensive Baden-Württemberg fördert innovative Vorzeigebauten, transformative Modelle und eine hochwertige Baukultur, um die Dekarbonisierung des Bausektors voranzutreiben. In der anschließenden Diskussionsrunde mit Dr. Rappold (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft), Helmut Spiehs (Binderholz GmbH, Fügen), Alfred Kammerhofer (Bundesamt für Umwelt BAFU, Bern) und Martin Strittmarter (Landesforstverwaltung Baden-Württemberg) ging es tiefer in die Materie Wald und Holz: Wie steht es um die Entwicklung der Wald- und Holzwirtschaft im DACH-Raum? Fördern oder bremsen gesetzliche Rahmenbedingungen klimapositives Bauen? Die Diskutanten beantworteten zahlreiche Fragen aus dem Publikum.
„Ich glaube nicht an den Superbaum“[1]
Nach der Mittagspause auf der sonnigen Terrasse ging es weiter mit Beiträgen zur Entwicklung der Holzmärkte im DACH-Raum. Zu Beginn folgte eine aktuelle Einschätzung zur Holzbauquote durch Marcel Dresse von B+L Marktdaten GmbH: So liegt der Neubau beim Ein- und Zweifamilienhausbau in der Schweiz bei 20,6 %, in Deutschland bei 24,1 % und in Österreich bei 34,4 % mit steigender Tendenz. Prof. Dr. Andreas Bolte vom Thünen-Institut gewährte kritische Einblicke in die Thematik von Rohstoffversorgung und Ressourceneffizienz und wies auf den aktuell hohen Schadholzanteil von über 40 % hin. Die notwendige Waldumbaufläche bis 2050 beträgt in der Konsequenz 95.000 ha pro Jahr bei aktuell 22.000 ha. Was bedeutet das für die Zukunft stofflicher vs. energetischer Verwertung? Was ist der Baum der Zukunft? In diesem Zusammenhang muss auch die Biodiversität im Rahmen der Waldbewirtschaftung gesichert werden: Matthias Kiess vom MLR BW erläuterte in seinem Beitrag bewährte Waldnaturschutzinstrumente, die in Kooperation mit Waldbesitzern bereits umgesetzt werden.
„Der Architekt in 10 Jahren wird mit Assistenzsystemen zusammenarbeiten.“
Nach der ersten Kaffeepause wurden die Teilnehmer mit fröhlichen Pop-Klängen in die nächste Vortragsrunde zum Thema Künstliche Intelligenz eingestimmt: Tom Woschitz von OSTAR Music Network zeigte den Teilnehmern, wie in wenigen Sekunden ein KI-generierter Song zum Thema nachhaltiges Bauen entsteht. Stefanie Baade vom KI Bundesverband präsentierte dem Publikum Beispiele Künstlicher Intelligenz in verschiedenen Branchen – von der Legobauanleitung bis zur Fahrassistenz. Prof. Thomas Wortmann von der Universität Stuttgart informierte die Teilnehmenden über Grenzen und Potentiale von KI im Bauwesen. KI kann zur Optimierung des Energiebedarfs oder eines Produktes sowie des ganzen Herstellungsprozesses eingesetzt werden. KI schafft zudem eine neue Infrastruktur für die Verlinkung von Daten entlang der Wertschöpfungskette – vom Scannen des Zustands eines Baumes bis hin zum Erfassen des fertigen Bauteils aus Holz. Prof. Wortmann: „Der Architekt in 10 Jahren wird mit Assistenzsystemen zusammenarbeiten.“
„Ein uraltes Architekturprinzip: Haus im Haus“[2]
Am Abend wurde der Holzbaupreis Baden-Württemberg 2024 verliehen. Es gab 98 Einreichungen, vier der insgesamt 13 nominierten Holzbau-Projekte erhielten den Holzbaupreis in Bronze: das Collegium Academicum der Collegium Academicum GmbH, Heidelberg, die Grundschule Fuchshofstraße unter der Bauherrschaft der Stadt Ludwigsburg, das LOGL Bildungszentrum in Weil der Stadt, Bauherrschaft war hier der Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft BW e. V., Weil der Stadt sowie das Hölderlinhaus in Nürtingen unter der Bauherrschaft der Stadt Nürtingen. Ausführender Architekt Prof. Jörg Aldinger zur Sanierung des Hölderlinhauses: „Hinter den alten Mauern ist eine komplett neue Konstruktion entstanden – ein uraltes Architekturprinzip: Haus im Haus“. Staatssekretärin Sabine Kurz überreichte zusammen mit Carmen Mundorff, Vorsitzende der Architektenkammer Baden-Württemberg und dem Vorsitzenden der Jury, Andreas Krawczyk, NKBAK Architekten in Frankfurt die Urkunden. Sabine Kurz: „Alle nominierten Arbeiten stehen für eine herausragende Holzbau-Kultur. (…) und sie zeigen, dass der Holzbau in Baden-Württemberg eine Heimat hat.“ Kathrin Werner begleitete den ersten Veranstaltungstag und fasste die wichtigsten Themen des Tages in einem Graphical Recording zusammen. Der erste Tag des Fachkongresses endete mit einem gemeinsamen Abendessen und dem anschließenden Ausklang am See mit viel Möglichkeit zum fachlichen und persönlichen Austausch.
„Mehr vertikale Nachbarschaft mit durchmischten, dichten Quartieren“[3]
Markus Müller von der Architektenkammer Baden-Württemberg startete den zweiten Tag mit Visionen für die Zukunft des Wohnungsbaus. Wie bewältigen wir die Wohnungslücke in Baden-Württemberg? Es fehlen ca. 200.000 Wohnungen für 400.000 Menschen. Müller: „Nachbarschaftsstärkender Wohnungsbau, der bezahlbar ist – das sollte die Vision für alle Architekten sein.“ Sebastian Bildau, OSA Architekten GmbH machte sich Gedanken, wie die Menschen heute und in Zukunft leben möchten: „Es braucht mehr vertikale Nachbarschaft mit durchmischten, dichten Quartieren.“ Martin Rauch von Lehm Ton Erde Baukunst GmbH referierte über den Zukunftsbaustoff Lehm in Form von Stampflehm oder Fachwerk. Architekt Helmut Dietrich rundete den Themenblock zu aktuellen Entwicklungen in der Holzbaukultur mit Leuchtturmprojekten aus Österreich ab. Als Highlight stellte er den Campus der TU München im Olympiapark vor mit seiner beeindruckenden, auskragenden Dachkonstruktion.
„Der Markt regelt vielleicht, aber er regelt viel zu spät.“
Noch am Vormittag ging es dann um die ordnungspolitischen Entwicklungen im Holzbau. Jürgen Utz von der LIST Gruppe informierte über die Bedeutung von ESG-Kriterien und EU-Taxonomie im Bauwesen. Utz: “Der Markt regelt vielleicht, aber er regelt viel zu spät. Die EU-Regulatorik minimiert Klima- und Umweltrisiken und stabilisiert den Markt.“ Engelbert Schrempf von Holzbau Austria referierte über die gängigen Regelwerke zum nachhaltigen Bauen mit Holz in Österreich. Christian Holzleitner von der Generaldirektion Klimadirektion der Europäischen Kommission erklärte die wichtigsten Zertifizierungselemente der EU sowie deren Umsetzungsmöglichkeiten für Unternehmen mit Blick auf emissionsreduzierte Wertschöpfungsketten.
„Lehm hat gute Dämmeigenschaften.“[4]
Nach der Mittagspause wurden in der Kategorie „Teamplayer Holz“ spannende Projekte im Bereich klimaintelligenter Holzhybridbau vorgestellt. Prof. Dr.-Ing. Christof Ziegert, ZRS Ingenieure GmbH präsentierte die ideale Kombination aus Lehmbaustoffen, die in der Ökobilanzierung ganz vorne stehen, mit modernem Holzbau. Auch Tobias Geiger von Geiger Holzsystembau stellte innovative Produkte wie Holz-Lehm-Kombinationen vor. Jonathan Ensslin von Oxara AG präsentierte eigene Bauprodukte wie Gusslehm, die auf Lehmbasis zur Verwendung von lehmhaltigem Aushub und Mischabbruch hergestellt werden.
„Materialeffiziente Bausysteme unterstützen das Upscaling.“[5]
Im anschliessenden Themenblock „Upscale der Holzbau-Fertigung“ ging es um nachhaltige Großprojekte im Holzbau. Jonas Degen von Wilma HBV erläuterte intelligente Materialkombinationen für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit bei Deckenkonstruktionen. Herbert Duttlinger, Raphael Riesterer und Andreas Wiesler stellten die neugegründete Holzbau Südwest mit Sitz in Freiburg vor – ein Gemeinschaftsunternehmen, das gegründet wurde, um Großprojekte sowie mehrgeschossigen Holzbau gemeinsam besser stemmen zu können. Mitgründer sind Burkart Haus, Steiger & Riesterer sowie die Bruno Kaiser Gruppe. Im Anschluss referierte Matthias Kauffmann, kauffmann zimmerei und tischlerei GmbH anhand von Leuchtturmprojekten wie UMAR / Nest EMPA Dübendorf oder RoofKIT in Karlsruhe über die aktuellen Möglichkeiten im Bereich Cradle-to-Cradle.
Nach der letzten Kaffeepause ging es in den Endspurt. Frank Vasek von Timber Finance informierte die Teilnehmenden über Änderungen des Finanzmarktes in Bezug auf Holz und Holzbau: Immobilienportfolios können durch CO2-Speicherzertifikate dekarbonisiert werden und schaffen so Anreiz für Immobilieninvestoren, in Holz zu bauen. Bundesverwaltungsrichter Marc Steiner berichtete über Klimaschutz und Effizienz im Beschaffungswesen. Steiner: „Klimapolitik funktioniert nicht ohne Lieferkettenregulierung.“ Steiner vergleicht das Vergaberecht mit einer Lieferkettenregulierung für den Staat. Hierfür braucht es aber auch eine neue Vergabekultur der öffentlichen Hand und der entsprechenden Förderung für Holzbauten.
„Form follows environment“
Von der Stabkirche und den charakteristischen Holzhäusern von Bryggen bis zur Oper in Oslo: Die Keynote auf dem Fachkongress am Bodensee hielt dieses Jahr Jette Cathrin Hopp vom norwegischen Architekturbüro Snøhetta. Jette Hopp präsentierte mit Leuchtturmprojekten des Büros den Holzbau aus einer nordischen Perspektive mit globaler Relevanz. Mit der Maxime „Form follows environment“[6] stellte Hopp den Norwegischen Rentier Pavilion am Berg Snøhetta vor: Das Gebäude, das sich in die umgebende Landschaft schmiegt, dient als Beobachtungsposten für Rentierherden und Lehrgebäude zugleich. Die wunderschönen Holzbau-Objekte aus Norwegen bildeten einen beeindruckenden Abschluss für den dritten Fachkongress am Bodensee und machten Appetit auf die kommende Veranstaltung im Dreiländer-Eck im Jahr 2025.
Fotos: Christoph Morlok
Bildmaterial erhalten Sie auf Anfrage: Esther Reinwand, reinwand@proholzbw.de
Hier gelangen Sie zu den Aufnahmen der Vorträge sowie einem Teaser zum dritten Fachkongress am Bodensee.
[1] Prof. Andreas Bolte, Thünen Institut
[2] Prof. Jörg Aldinger, Aldinger Architekten Planungsgesellschaft mbH
[3] Sebastian Bildau, OSA Architekten GmbH
[4] Jonathan Ensslin, Oxara AG
[5] Jonas Degen, Wilma HBV
[6] „Die Form folgt der Umwelt“