Kurzbeschreibung:
Das Collegium Academicum ist ein Praxismodell für flächensparendes Wohnen bei gleichzeitig hoher Lebensqualität. Bewohnende bestimmen Raumbedarf und Zuschnitt der Wohnungen selbst. Die innovative Holzbauweise mit flexiblen Grundrissen setzt neue Standards. Die Primärkonstruktion besteht aus rein form- und kraftschlüssigen Zimmermannsverbindungen, die leicht rückbaubar sind.
Anzahl Geschosse:
4
Anzahl Wohnungen (wenn zutreffend):
46 Wohneinheiten mit insgesamt 176 Wohnplätzen.
Gesamtbaukosten:
Gesamtkosten KG 100 – 700: 21.270.000,00 Euro brutto.
Besonderheiten der Konstruktion:
Holz-Skelettbau, Elementierte Holzrahmenbauweise, Stahlbeton-Laubengang und Treppen. Ausschließlich form- und kraftschlüssige Holz-Holz-Verbindungen in der Primärkonstruktion.
Erläuterungsbericht:
Das Collegium Academicum: Modellprojekt für selbst- und gemeinschaftlich verwaltetes Wohnen Der Neubau des Collegium Academicum Heidelberg (CA) ist ein selbstverwaltetes Wohnprojekt für junge Menschen in der Berufsausbildung, dem Studium oder der Promotion. Zu Beginn gab es weder ein Grundstück noch eine Finanzierung, nur eine große, alles inspirierende Vision: das Konzept eines selbstverwalteten Wohnheims für Studierende mit hohen Ansprüchen an einen nachhaltigen, suffizienten Lebensstandard. Mit unermüdlichem Engagement, großem Mut und unverbrüchlichem Glauben an ihre Idee haben die Studierenden diese Vision Wirklichkeit werden lassen – und damit ein Zeichen für eine neue Baukultur mit Strahlkraft weit über Heidelberg hinaus gesetzt. Durch die Selbstverwaltung übernehmen die Bewohner*innen selbstständig und eigenverantwortlich Aufgaben wie die Mietverwaltung, die Instandhaltung oder die Finanzierung, lernen neue Dinge und erfahren Selbstwirksamkeit. Diese gemeinsame Verantwortung ist Teil des Bildungsprogramms und der Kompetenzerweiterung. Das CA versteht sich als Bildungsinstitution, die semesterbegleitend interdisziplinäre Workshops, Seminare, Lesungen und andere Veranstaltungen anbietet. Eine besonderes Angebot ist das Orientierungsjahr „falt*r“, in dem jungen Menschen zwischen Schule und dem nächsten Ausbildungsschritt ein einjähriges, fachübergreifendes Bildungsprogramm ermöglicht wird. In der Planungsphase wurden die zukünftigen Bewohner*innen bereits durch gemeinsame Planungswerkstätten eingebunden. Aufgrund der engen Zusammenarbeit in der Planung ließ sich für den Neubau des CA eine völlig neue Wohnform entwickeln, die auf zeitlichen und räumlichen Maßstäben eine flexible Nutzung der Wohnungen ermöglicht, damit das Gebäude langfristig auch von kommenden Generationen wertgeschätzt wird. Über Partizipation hinausgehend wurde ein tatsächlich deliberativer Planungsprozess verwirklicht, in dem Mitglieder der Projektgruppe konkrete Entscheidungen trafen. Die Planung durch den Bau eines Demonstrationszimmers konkretisiert und die Ausführungsweise der Innenausstattung beispielhaft entwickelt. Während des Baus wurden durch sogenannte „partizipative Baustellen“ und „Workcamps“ Arbeitseinsätze mit Freiwilligen aus der Projektgruppe und Externen geleistet. Durch die so vollbrachte Eigenleistung und den Einsatz von nachgenutzten statt neuen Möbeln konnten sowohl Kosten in Hohe von ca. 400.000 € gespart als auch die Umweltverträglichkeit des Gebäudes gesteigert. Durch die Passivhausbauweise ist ein Beheizen mittels Fernwärme nur an wenigen Tagen im Jahr notwendig. Energiebedarf und Treibhausgasemissionen sind im Betrieb auf ein Minimum reduziert. Eine Solaranlage auf der gesamten Fläche des Flachdachs im 4.OG mit 180kWp Leistung, einem Batteriespeicher von 140 kWh sowie einer Überschusseinspeisung ermöglichen es, bilanziell mindestens 100% des Strombedarfs der Bewohner*innen zu decken. Und das CA denkt weit in die Zukunft: Ein Großteil der Wohnungen ist so angelegt, dass sie zukünftig beispielsweise für seniorengerechtes Wohnen genutzt werden können. Durch flexible Schaltbarkeit der 4er-WGs lassen sich andere Wohnformen wie Groß-WGs oder betreutes Wohnen mit geringem Aufwand realisieren. Damit ist zwar ein Neubau entstanden, der aber im Sinne der neuen Umbaukultur Maßstäbe für Anpassungsfähigkeit, Klimaschutz, bezahlbarem Wohnraum und Ressourcenschonung zukünftigen Wohnens setzt. Das CA stellt unter Beweis, dass Nachhaltigkeit und hohe architektonische Qualität sich nicht ausschließen.
Städtebau und Architektur
Das CA wurde auf der Konversionsfläche eines alten US-Militärhospitals in Heidelberg errichtet und spielt eine Schlüsselrolle in der Wiederbelebung der Brache. Das Ensemble aus Alt- und Neubau befindet sich an strategischer Stelle zur Erschließung des neuen Quartiergeländes. Es bildet ein Entré für das neue Viertel, das sich mit dem Stadtteil in nachbarschaftlicher Offenheit verbinden will. Das CA soll langfristig ein Anziehungspunkt für eine wiederbelebte, vernetzte Nachbarschaft im Stadtteil Rohrbach werden, die aktuell an Überalterung und mangelnder Infrastruktur leidet. Das „Pförtnerhäuschen“ empfängt Besucher*innen in Zukunft mit einem Café Raum für eine kleine Lebensmittelkooperative und/oder einem „Repair-Café“. Im Altbau, einem ehemaligen Verwaltungsgebäude, entstehen 50 Wohnplätze für Studierende im Orientierungsjahr. Hier waren durch die langjährige Verwaltungsnutzung bauliche Anpassungen notwendig, aber das äußere Erscheinungsbild mit dem markanten Giebel wurde durch das mit der Sanierung beauftragte Architekturbüro Gerstner + Hofmeister erhalten. Die Fassade wird sensibel und mit Referenz auf die Ästhetik des Neubaus modernisiert. So wird die auch optische Zusammengehörigkeit des Ensembles gestärkt. Im EG gibt multifunktionale Seminar- und Gemeinschaftsräume, die barrierefrei zu erreichen sind. Im OG werden Gemeinschaftsflächen eingerichtet, die insbesondere dem sozialen Austausch der Bewohnenden zugutekommen. Zudem sind eine Metall- und eine Fahrradwerksatt sowie Lagerräume im Keller geplant, die die Holzwerkstatt im Neubau ergänzen. Bei den Sanierungsmaßnahmen handelt es sich im Wesentlichen um drei Aspekte: eine Umnutzung von Büroräumen in Wohnräume, eine energetisch anspruchsvolle Sanierung sowie die Schaffung zusätzlicher Wohnfläche aus der bestehenden Gebäudesubstanz. Daher werden Grundrisse geändert und das Gebäude statisch sowie schall und brandschutztechnisch ertüchtigt. Außenwand-, Kellerdecken- und Dachdämmung und Fenster wurden ausgetauscht, um den bestmöglichen energetischen Effizienzstandard im Bestand zu erreichen (KfW55). Schließlich wird zusätzliche Wohnfläche mit ausreichend Lichteintrag hergestellt, indem das Dach ausgebaut wird und sowohl Schleppgauben als auch Holzerker für mehr Wohnfläche und Komfort in den Wohnungen und Gemeinschafts-räumen sorgen. Besonderes Augenmerk liegt darauf, Bauteile und Baustoffe wieder- und weiterzuverwenden sowie möglichst ökologische Baustoffe zu nutzen. Um bezahlbares Wohnen möglich zu machen und im Sinne der Nachhaltigkeit zu agieren, ist die Zielvorgabe, die Renovierungs- und Umbauarbeiten möglichst gering zu halten und somit die vorhandene Bausubstanz zu erhalten.
Der zweiteilige Neubau ergänzt die beiden Bestandsgebäude architektonisch und funktionell. Er umschließt einen gemeinschaftlichen Innenhof mit Gemeinschaftsgarten. Die markante Fassade wurde von DGJ im Rahmen eines Forschungsprojekts der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit beweglichen Schiebeläden entwickelt, die das wechselhafte Leben im CA spiegeln. Die einzelnen Stockwerke werden durch je einen zum Innenhof liegenden Laubengang barrierefrei erschlossen. Dieser weitet sich auf einzelnen Stockwerken zu kleineren Terrassen, die gemeinsam genutzt werden können. Das „Projektlernen“ wird durch die bauliche Struktur aufgrund eines von außen einsehbaren Erdgeschosses sowie der Mischung von Wohn-, Freizeit- und Arbeitsbereichen besonders begünstigt. Die eingeschossige Aula verbindet die beiden Gebäudeteile und bildet einen Treffpunkt für die Hausgemeinschaft. Ein Dachgarten als Begegnungsstätte verbindet die oberen Wohnungen auf dem Dach der Aula. Der Neubau integriert 176 Wohnplätze für Studierende.
Nutzungskonzept im Sinne sozialer Nachhaltigkeit
Im von DGJ geleiteten, partizipativen, mehrjährigen Entwurfs- und Bauprozess mit den Bewohnenden wurde eine völlig neue Wohnform entwickelt, die eine flexible Anpassung der Wohnungen ermöglicht. Das Gebäude wird zum Labor, in dem Bewohnende Raumbedarf, Nutzung und räumliche Konfiguration der Wohnungen zwischen Individual- und Gemeinschaftsflächen rekonfigurieren und verhandeln können. Die Konstruktion ermöglicht die Herstellung und das Versetzen der Innenwände im Selbstbau. In der hauseigenen Werkstatt können die Bewohnende eigene Möbel bauen. Die Grundform der Wohnung besteht aus einer Gemeinschaftsfläche in der Mitte, um die Individualräume und der Sanitärbereich angeordnet sind. Die Individualräume bestehen jeweils aus zwei Teilen mit je 7qm Fläche: eine räumlich geschlossene Kernzone und eine offene Zone, die zunächst räumlich nicht vom Gemeinschaftsbereich der Wohnung getrennt ist. Die flexible Zone kann nach den individuellen Lebensgewohnheiten der einzelnen Bewohnenden offen verbleiben, durch Raumteiler (Tisch, Regal) teilweise abgetrennt oder, durch das Versetzen der Wand der Kernzone oder Einsatz einer zweiten Wand, räumlich getrennt werden.
Das Bausystem
Eine Besonderheit stellt die nachhaltige Element-Holzbauweise ohne metallische Verbindungsmittel in der Primärkonstrukion dar. Es wird nur mit form- und kraftschlüssigen Zimmermannsverbindungen gearbeitet. Das Tragwerk ist eine Hybrid-Konstruktion aus einem Skelettbau mit aussteifenden Wandscheiben um die Sanitärkerne. Auch Teile der Außenwände und ein Teil der Wohnungstrennwand haben aussteifende Funktion. Diese Konstruktion lässt sich einfacher rückbauen als eine sortenreine Konstruktion. Holz bindet große Mengen von CO2 und ist als nachwachsendes Baumittel ein Rohstoff der Zukunft. Das CA wurde auf der Grundlage des von Hans Drexler entwickelten Bausystems „Open Architecture“ errichtet. Durch die Fügung der Holzbauteile entstehen vorgefertigte Wand- und Deckenelemente, die auf der Baustelle nur noch zusammengefügt werden müssen und eine sehr kurze Montagezeit benötigen. Was das Bausystem besser kann als andere Konstruktionen oder Systeme ist, flexibel eine Interaktion der Nutzer*innen mit dem Gebäude auf verschiedenen Ebenen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Prozesses zu ermöglichen. Es denkt Gebäude als veränderlich und anpassungsfähig über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Es entsteht eine Bindung, die über die reine Nützlichkeit hinausgeht. Wenn die Gebäude die Anforderungen und Wünsche der Nutzer*innen erfüllen, wenn diese sich mit den Gebäuden identifizieren und sie wertschätzen, trägt das zur sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit im Sinne von Langlebigkeit und Dauerhaftigkeit bei. Nach nun fünf Monaten Betrieb konnten erste Nutzer*innenerfahrungen abgefragt werden. Die Evaluation ergab, dass die Wohnungen den Bedürfnissen entsprechen. Insbesondere entschieden sich mehr als die Hälfte der Bewohnenden für die kleinere Zimmervariante und beschreiben großen Gemeinschaftsflächen als sehr positiv. Die Flexibilität gibt Freiheit auch für kurzfristige Veränderungen, die Ästhetik des Holzbaus, die Nähe zu anderen Menschen und der Austausch der WGs werden geschätzt.