Ostfildern, 14. Juni 2023. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine verursachte die zweitgrößte Welle von Geflüchteten seit 2015. Die Kommunen stoßen hinsichtlich der Unterbringungsmöglichkeiten deutlich an ihre Grenzen. Wie können neue Wohnraum-Kapazitäten geschaffen werden? Reichen Provisorien aus, oder sollten flexibel nutzbare Einrichtungen in modularer Holzbauweise zur nachhaltigen weiteren Nutzung geplant werden? Diese und weitere Fragen im Hinblick auf die Möglichkeiten des Holzbaus wurden im Online-Seminar umfassend diskutiert.
„Mit Holz erhebliche Beiträge für den Schutz des Klimas leisten.“
Die Veranstaltung wurde initiiert durch die Holzbau-Offensive Baden-Württemberg. Welchen Beitrag kann Holzbau leisten, um Kommunen beim effektiven Bau von Flüchtlingsunterkünften zu unterstützen? Welche Lösungen gibt es? Wie sind die rechtlichen Rahmenbedingungen? Bernhard Panknin vom MLR BW und Leiter der Holzbau-Offensive BW: „Wir können mit Holz erhebliche Beiträge für den Schutz des Klimas leisten.“ Uwe André Kohler, Geschäftsführer von proHolzBW, begrüßte die Teilnehmenden zur Veranstaltung. Joachim Hörrmann, Koordinator Holzbau proHolzBW, moderierte das Online-Seminar.
„Schnelles, temporäres Bauen war die Domäne des Holzbaus.“
Thomas Deines vom Regierungspräsidium Stuttgart informierte die Teilnehmenden über die aktuelle Situation zu den Kapazitäten und dem Bedarf an Flüchtlingsunterkünften in Deutschland und Baden-Württemberg. 2022 wurden knapp 150.000 Geflüchtete aus der Ukraine registriert, über 55.000 davon im Regierungsbezirk Stuttgart. Im Rahmen der vorläufigen Unterbringung sowie der Anschlussunterbringung durch die Städte und Landkreise existiert daher ein großer Bedarf an zusätzlichem Wohnraum, der schnell, flexibel und bedarfszugeschnitten gebaut werden kann. Als eines der wenigen nachhaltigen Baumaterialien eignet sich Holz aufgrund der hohen Vorfertigung und Modularität besonders für die schnelle und flexible Bauweise. Gebäude können nach der Erstnutzung oder bei Änderung der Bedarfskapazitäten auch alternativen Nutzungsmöglichkeiten zugeführt werden.
Wie klein kann ein Wohnraum sein und trotzdem große Wohnqualität bieten?
Florian Kaiser vom Atelier Kaiser Shen Architekten PartGmbB BDA, Stuttgart startete seinen Beitrag mit einem Überblick zu aktuellen Trends bei Wohnraum. Der Wohnfläche- und Raumwärmebedarf pro Kopf steigt seit den 1960er Jahren kontinuierlich an. Gegenwärtig bewohnt eine Person ungefähr 50 Quadratmeter. Aber schon 25-35 Quadratmeter Wohnfläche erlauben gut einteilbare Grundrisse. Auch bei den Baumaterialien gibt es viele Möglichkeiten, schnell und nachhaltig zu bauen. Strohballendämmung und Holzschottenbauweise erlauben zum Beispiel hohe Flexibilität und schnelle Bauweise. Auch Lehmputz und Holzbauweise lassen sich gut kombinieren. Bei einem Wohnheim für Geflüchtete in Schönaich wurden die Erkenntnisse aus früheren Projekten praxisnah umgesetzt: Statt der temporären Container-Lösung wurde mit einem Wohnheim in Holzbauweise durch den Bauherrn bewußt eine langfristige Lösung mit der Option der späteren Umnutzung gewählt. Das thermisch gedämmte Bauvolumen sollte auf einem Minimum reduziert werden. In Abgleich mit Wohnungsgrößen im sozialen Wohnbau wurden 9 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf festgelegt.
„Die Menschen fühlen sich wohl und behandeln die Materialien pfleglich.“
Michael Striebeck leitet den Fachbereich Bauen und Immobilien der Stadtverwaltung Ostfildern, einer Gemeinde, die schon lange auf Holzbau setzt. Herr Striebeck stellte aktuelle Zahlen zu Wohnraumkapazitäten und den Bedarf für die Unterbringung von Geflüchteten in Ostfildern dar. Erfahrungsgemäß sind Stahlcontainer die schwierigste Lösung bezüglich Erscheinungsbild, Bausubstanz, Nachnutzung, Brandschutz und Recyclingfähigkeit. Auch Privatsphäre und Gemeinschaftsnutzungen stellen Herausforderungen dar. Unterkünfte in Holzbauweise wie zum Beispiel im vorgestellten Projekt Kirchheimer Strasse 117 punkten dagegen durch schnelle Bauzeiten und Flexibilität. Auch der Grundriss des Projekts bietet nur Vorteile: Je nach Abtrennung können unterschiedlichste Personengruppen untergebracht werden. Michael Striebeck: „Die Kirchheimer Strasse zeigt uns, dass eine Wertigkeit durch eine gute Gestaltung auch bei der Verwendung günstigster Materialien und dem erforderlichen Platzangebot erreicht und wertgeschätzt wird.“ Diese Qualitäten weisen laut Striebeck vor allem gute Holzbauten in modularer Bauweise mit schneller Beschaffungsmöglichkeit auf.
Kaum Schnittstellen in der Abstimmung während der Bauphase
Lars Miller von der Firma Weizenegger GmbH stellte eine Reihe von beispielhaften Flüchtlingsunterkünften in München vor mit Objektgrößen von bis über 5000 Quadratmetern. Auch ging Herr Miller auf Details zur Ausschreibung, den Vergabekriterien und zum Pauschalpreis der Unterkünfte ein. Die Firma Weizenegger bietet als Generaltunternehmer auch Wartungslösungen an, die in die Zuschlagskriterien mit einfließen. Auch die Schnittstelle zwischen Planung und Architekten wurde unter die Lupe genommen: Wer wird wann hinzugezogen? Diese Frage ist relevant, da die örtlichen Gegebenheiten oft keine Standardlösungen zulassen. Bei der Beauftragung eines Generalunternehmers reduzieren sich die Schnittstellen um ein Vielfaches und vereinfachen Planung und Abstimmung während aller Leistungsphasen.
Wie kann der Bedarf an dringend benötigtem Wohnraum mit Holzbau gedeckt werden? Herbert Duttlinger, Geschäftsführer bei Holzbau Bruno Kaiser im Schwarzwald stellte interessante Beispiele vor, so zum Beispiel die Flüchtlingsunterkunft in Löffingen, die auf modularer Bauweise basiert und daher in kürzester Bauzeit von viereinhalb Monaten errichtet werden konnte. Optisch sehr ansprechend ist auch die Anschlussunterbringung „Sonnenbühl“ mit Mikroapartments, die durch die städtische Wohnbaugesellschaft in Konstanz beauftragt wurde. Eine kleine Anschlussunterkunft mit vier Wohneinheiten entstand in Riedern am Wald. Dabei hat das Team von Bruno Kaiser sich über den Bau von Flüchtlingsunterkünften hinaus Gedanken zum Thema sozialer Wohnraum gemacht: Welche Wohnungstypen können sinnvoll in Holzbaumodulbauweise errichtet werden, wie kann der Bedarf an dringend benötigtem sozialem Wohnraum mit Holzbau gedeckt werden? Herr Duttlinger stellte hierzu Ansätze und Konzepte vor, bei denen verschiedene Wohnungstypen sinnvoll kombiniert werden können.
„Kann ich Holzbau in der Ausschreibung vorgeben?“
Dr. Tina Bergmann von der Kanzlei Dolde, Mayen & Partner referierte über Besonderheiten beim Vergaberecht mit Bezug auf Holzbau für Flüchtlingsunterkünfte. Dabei entscheidet der geschätzte Netto-Auftragswert, ob ein Projekt unter das EU-Vergaberecht fällt oder nicht. Die Schwellenwerte werden alle zwei Jahre von der EU-Kommission festgelegt, im Moment liegt die Grenze für Bauleistungen bei 5,382 Millionen Euro, bei Planungsleistungen liegt die Grenze bei 215.000 Euro. Das Vergaberecht regelt dabei die Art und Weise, wie beschafft werden soll, nicht, was beschafft werden soll. Was der Auftraggeber beschaffen möchte, ist dem Vergaberecht vorgelagert. Das ist der Grundsatz des Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Auch „Das Gebot der produktneutralen Ausschreibung“ wurde den Teilnehmern von Frau Dr. Bergmann ausführlich erklärt: Denn die Vorgabe, ein Gebäude in Holzbauweise zu errichten, ist zulässig – eine wichtige Aussage, denn dieser Paragraph sorgt bei kommunalen Bauherrn und Auftraggebern manchmal für Unsicherheit.
Noch Fragen?
Wir bedanken uns bei allen Referenten und Teilnehmern für die gelungene und informative Veranstaltung. Wenn Sie Fragen haben zum Thema, ein Holzbau-Projekt planen oder bei der Veranstaltung nicht dabei sein konnten, wenden Sie sich gerne an Frau Tanja Höckh unter hoeckh@proholzbw.de, die Ihre Fragen und Anregungen an unsere Kollegen vom Fach weiterleitet. proHolzBW unterstützt Sie kostenfrei mit der Holzbau Fachberatung und vielen Informationen für kommunale Bauherrn.
„Holzbau für Flüchtlingsunterkünfte“ ist eine Veranstaltung von proHolzBW im Auftrag der Holzbau-Offensive Baden-Württemberg.
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